Schon wieder ein Monat rum. Die Zeit geht einfach immer weiter, egal was man will – seltsame Sache… So oder so, der Mai ist vorbei, fast zumindest. Und es wird wie immer am Monatsende Zeit, die von mir gelesenen Bücher vorzustellen. Diesmal gibt es magische Wissenschaft, magische Krimis und ganz unmagische Marsianer.
Die Magier der Wissenschaft
Der Titel des Buches von Marcus Chown (das leider noch nicht auf deutsch erschienen ist), trägt dick auf: „The Magicians: Great minds and the central miracle of science“. „Magie“ und „Wunder“ haben ja normalerweise nicht viel mit Wissenschaft zu tun. Kommen im Buch aber eigentlich auch nicht vor. Dass was Chown da beschreibt kann man aber durchaus so betrachten. Sein Buch handelt von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die – quasi aus dem Nichts – Vorhersagen getroffen haben die dann bestätigt worden sind. Die „Magie“ um die es geht ist also eine der beeindruckensten Fähigkeiten der Naturwissenschaft: Die Existenz von Dingen zu entdecken von denen vorher niemand wusste dass sie existieren. Bzw. nicht einfach nur „entdecken“. Sondern zu behaupten das gewisse Dinge existieren müssen und diese Behauptung dann auch zu bestätigen. So wie im 19. Jahrhundert Urbain LeVerrier, der nur durch mathematische Berechnung zu dem Schluss kam, es müsse noch einen weiteren Planeten im Sonnensystem geben. Der dann auch gefunden wurde. Oder so wie im 20. Jahrhundert, als Paul Dirac mehr oder weniger aus dem Nichts eine Gleichung aufschrieb um die Quantenmechanik mit der speziellen Relativitätstheorie zu vereinen und daraus die Existenz der Antimaterie postulierte. Mit der absolut niemand gerechnet hatte, die aber trotzdem vorhanden war und entdeckt wurde.
Und so weiter: Chown behandelt relativ klassische Themen: Schwarze Löcher, Gravitationswellen, Neutrinos, die kosmische Hintergrundstrahlung… alles Dinge die man schon mal gehört oder gelesen hat, wenn man sich für Wissenschaft interessiert. Er fokusiert aber auf das Wechselspiel zwischen theoretischer Vorhersage und überraschender Entdeckung und liefert in jedem Kapitel mindestens einige Details die auch für Menschen neu sind, die sich schon länger mit der Thematik beschäftigt haben. Dazu ist das Buch auch sehr locker und verständlich geschrieben. Gut, manchmal übertreibt es Chown für meinen Geschmack, wenn er die Protagonisten Dinge erleben und Sätze sagen lässt von denen historisch nicht überliefert sein kann ob sie das genau so gesagt und erlebt haben. Aber zumindest sagt er dazu, dass er sich die Freiheit genommen hat, seine Geschichten anhand der vorhandenen Informationen ab und zu ein wenig freier zu erzählen. Wenn es um die wissenschaftlichen Fakten geht ist allerdings alles belegt und korrekt.
Chowns Buch ist ein sehr gut geschriebener Überblick über die Wissenschaftsgeschichte. Und zeigt, dass sie tatsächlich etwas zu bieten hat, was anderswo vielleicht als „Magie“ betrachtet werden kann. Die Existenz von Phänomenen und Dingen vorherzusagen die dann tatsächlich auch entdeckt werden kann sonst kaum jemand…
Thüringer Zauberkugelkrimi
Mit Magie hat auch der Regionalkrimi zu tun, den ich im Mai gelesen habe: „Jägerstein“ von Rolf Sakulowski. Dessen in Thüringen angesiedelten Bücher habe ich ja schon früher besprochen. Und auch der dritte Band seiner Serie hat mir sehr gut gefallen.
Wieder einmal geht es – natürlich! – um Mord und wieder einmal ist der junge Historiker Jonas Wiesenburg die Hauptfigur. Was bedeutet, dass der zu lösende Fall auch eine historische Komponente haben muss. Hier ist es die Sage vom Jägerstein: Im 17 Jahrhundert soll der Gehilfe eines Försters im Thüringer Wald einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben um Gewehrkugeln zu gießen die niemals das Ziel verfehlen. Damit soll er seinen Chef umgebracht haben. Die historischen Fakten sind real und in der Welt des Buches kommt ein moderner Nachahmungstäter dazu der scheinbar wahllos Menschen in Thüringen erschießt. Und anscheinend ebenfalls versucht hat, teuflische Gewehrkugeln zu produzieren…
Sakulowski spielt in seinen Büchern ja immer gerne mit dem Mysteriösen und lässt die Leserschaft lange im Ungewissen darüber, ob es hier nun mit rechten Dingen zugeht oder nicht. Im zweiten Teil der Serie ist er für meinen Geschmack zu sehr ins Magische abgedriftet; in „Jägerstein“ ist aber alles wieder so wie es sein sollte. Das Buch ist spannend; sowohl die Krimi-Handlung der Gegenwart als auch die Rückblicke ins 17. Jahrhundert mit höfischen Intrigen und Hexenprozessen. Wer Krimis mit historischem Einschlag mag, wird zufrieden sein!
Sherlock Holmes gegen die Marsianer
Sherlock Holmes ist spätestens seit der BBC-Adaption mit Benedikt Cumberbatch wieder modern geworden. Ich habe viele der alten Bücher gelesen, aber nicht alle. Der Stoff wurder aber natürlich auf viele Arten fortgesetzt, unter anderem in der Serie „The Further Adventures of Sherlock Holmes“. Und das Buch „The Further Adventures of Sherlock Holmes – The Martian Menace“ von Eric Brown kann ich euch nur empfehlen wenn ihr Old-School-Aliens und Old-School-Detektive mögt.
Die Handlung spielt nach den klassischen Holmes-Abenteuern, im frühen 20. Jahrhundert. Im viktorianischen England der Serie ist das passiert, was H.G. Wells in seinem Roman „Krieg der Welten“ beschreibt: Die Erde wurde von Marsianern angegriffen. Die Menschen haben die Marsbewohner zwar zurückgeschlagen, ein paar Jahre später kamen sie aber wieder, diesmal angeblich „friedlich“. Die Erde ist nun mehr oder weniger freundlich von den Marsmenschen okkupiert; die Marstechnik hat den Alltag beeinflusst; es gibt elektrische Autos, Raumflughäfen, und so weiter. Dass nicht alles so toll ist wie es scheint, müssen Holmes und Watson aber schnell lernen nachdem sie zum Auftakt den Mord an einem Marsianischen Botschafter gelöst haben (wo übrigens auch H.G. Wells auftaucht, der in der Welt der Romane aber kein Schriftsteller ist…).
Holmes und Watson auf dem Mars! Die Welten von Wells und Doyle wurde hier auf sehr schöne Weise kombiniert. Obwohl für meinen Geschmack zuviel Action, Verfolgungsjagd und Schießerei stattfindet und zu wenig klassisches Holmes-Deduzieren. Unterhaltsam ist das Buch aber auf jeden Fall.
Feynman in kompliziert
Im Mai hab ich dann außerdem noch „Six Not-So-Easy Pieces: Einstein’s Relativity, Symmetry, and Space-Time“ (auf deutsch „Physikalische Fingerübungen für Fortgeschrittene“) von Richard Feynman gelesen. Wenn Feynman durch seine populärwissenschaftlichen Bücher nicht so enorm prominent geworden wäre, wäre dieses Buch in der Form vermutlich nicht erschienen. Es ist im Wesentlich die Transkription seiner „Feynman Lectures“, also einer Vorlesungsreihe über Physik die er als Professor gehalten hat. Die gilt heute als Klassiker, aber eigentlich waren es damals nicht so sehr die jungen Studenten für die die Vorlesung gedacht war, die sie super fanden (eher im Gegenteil), sondern die fortgeschritteneren Kollegen die diese Zusammenfassung des Grundlagenstoffs sehr gut verständlich fanden.
Das Buch ist definitiv kein populärwissenschaftliches Buch, es ist voller Formel, Diagramme und technischer Sprache. Was für das Fachlehrbuch das es ja eigentlich ist, absolut ok ist (obwohl man vieles von dem was Feynman da erklärt heute vermutlich anders erklären würde). Als Einführung in die Relativitätstheorie muss man es nicht unbedingt lesen (da gibt es moderneren Stoff der verständlicher ist); als historisches Dokument kann man es lesen – aber sollte sich dann eher auf die Abschnitte konzentrieren, die nicht formellastig sind. Ab und zu plaudert Feynman dann ja doch ein wenig in seinen Vorlesungen und das ist ganz interessant. Man muss allerdings darüber hinwegsehen, dass das alles mehr als ein halbes Jahrhundert alt ist und die Sprache entsprechend (Frauen kommen zum Beispiel nicht mal implizit vor, in jedem Beispiel sind es immer nur Männer die in die Rakete steigen, die mit dem Zug von A nach B fahren, usw).
Das wars für den Mai. Im Juni geht bald schon die Sommerbuchsaison los und wie üblich freue ich mich da über eure Vorschläge!
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Es wäre auch mal ein Buch interessant, das ebensolche Vorhersagen behandelt die dann krachend scheiterten. Da klingt im Rückblick immer ein wenig das Survival Bias durch – von solchen Geschichten hört man nämlich wenig.
@Robert: Buch kann ich nicht anbieten, aber meine Kolumne „Hier irrte die Wissenschaft“ beim Standard: https://www.derstandard.at/wissenschaft/wissensblogs/freistetter
„Esoterik (von altgriechisch ἐσωτερικός esōterikós ‚innerlich‘, dem inneren Bereich zugehörig‘) ist in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs eine philosophische Lehre, die nur für einen begrenzten „inneren“ Personenkreis zugänglich ist“
Quelle: Wikipedia
Magier der Wissenschaft
Wenn man die eng gefasste Definition von Esoterik und die Vorstellung von Magie (für Aussenstehende geheimnisvolle Tätigkeiten und teils unverständliche Sprache in merkwürdig ausgestatteten/ beleuchteten Räumen) verbindet, sind die echten praktizierenden Esoteriker heutzutage doch die inneren Zirkel der Grundlagenforschung, wo nur die besten Schüler landen und noch nicht malvon denen alle.
Ob das ein Grund für die steigende Skepsis gegenüber der Wissenschaft kommt?
@Stargazer:
Nein. Auch wenn manch ein Physikstudent (wie ich zum Beispiel damals vor 25 Jahren) gerne – allerdings eher nicht ganz ernst gemeint – über die Elementarteilchenphysik zB, seufzt: „Das ist mir zu esoterisch“.
Der Unterschied ist, von dir zitiert:
… dass die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft für jeden zugänglich sind, der sich Mühe gibt. Nicht nur für einen „begrenzten ‚inneren‘ Personenkreis“.
Was die Grundlagenforschung angeht ist alles öffentlich zugänglich. Keine Geheimnisse.
Selbst die Grundlagenforschung die in der Industrie statt findet ist früher oder später öffentlich zugänglich.
Dein Vergleich hinkt nicht nur, er ist kompletter Unsinn.
Um einen bekannten Satz mal abzuwandeln … Merke:
Das du etwas nicht verstehst, bedeutet nicht, dass es Geheimwissen ist. Es bedeutet nur, dass du etwas nicht verstehst.
@PDP10
es ist aber nicht jeder bereit, sich die Mühe zu machen, die notwendig ist. um wirklich sinnvoll an der Spitze der Forschung mitzumachen, so das sich ein „Innerer Zirkel“ von ganz alleine ergibt. Abgesehen von den verfügbaren Ressourcen (einen LHC gibts halt nicht im Baumarkt um die Ecke). Natürlich steht das Wissen früher oder später öffentlich zur Verfügung; nur a)wird das Wissen von relativ kleinen Gruppen gewonnen und b) ist nicht jeder bereit, genug Mühe aufzuwenden, um die Ergebnisse wirklich zu verstehen.
Interessant wie Leute immer recht behalten wollen, ich mach da ja auch keine Ausnahme.
Aber, Stargazer, Dein Bild der Wissenschaft ist so wie PDP schreibt, nämlich völlig verquer.
Die Wissenschaft ist definitiv kein Elfenbeinturm, und es ist definitiv nicht die Schuld der Wissenschaft dass die Leute zu bequem sind, selber den nicht existenten Elfenbeinturm zu betreten.
Alles ist für Jeden zugänglich, da gibts überhaupt keine Grenzen.
Dass Du nicht am LHC bist (ich setze das hiereinfach mal voraus) liegt nicht daran, dass Du ihn Dir nicht leisten kannst, oder dass Dich die Magierkaste aktiv daran hindert. Es liegt nur daran dass die entsprechende Qualifikation fehlt. Und woran liegt das jetzt?
Wer hindert denn Jedermann daran zu studieren und in die Forschung zu gehen und selber den Sprung in die Magierkaste zu tun?
Das ist einzig und allein Jedermann selber. Hinterher beschwert man sich dann über den Elfenbeinturm.
Du hast recht wenn Du schreibt dass nicht jeder bereit ist, die Mühen auf sich zu nehmen, aber dann beschwert man sich nicht, sondern man suche die Ursache dass man nicht am LHC ist bei sich selber.
„wo nur die besten Schüler landen und noch nicht mal von denen alle. Ob das ein Grund für die steigende Skepsis gegenüber der Wissenschaft kommt?“
Der Vergleich hinkt auch noch, wenn man ihn umkehrt betrachtet. Die Elfenbeintürme der Esoterik, wo nur die Erleuchteten hinkommen, und wo Skeptikern die Fähigkeit zur Erleuchtung abgesprochen wird, führt ja bei Anhängern der Esotherik auch nicht zu einer Skepsis gegenüber der Esotherik. Im Gegenteil, da werden „Erleuchtete“ schnell mal zu Gurus, deren Lehren nicht mehr hinterfragt werden.
Die oben benannten „magischen“ Aussagen, wurden aber hinterfragt und als bestätigt gefunden. Und wer im Wissenschaftsbetrieb mal tätig war, kennt das sicher, dass jede Aussage vor Veröffentlichung „tausendmal“ kritisiert und Nachbesserung verlangt wurde. Per Review is hard.
@Florian Freistetter
Interessante Serie übrigens. Wird gleich gebookmarked.
Das hier finde ich eine bemerkenswerte Aussage. Das muss man wohl immer wieder mal erwähnen:
„Es ist erschreckend leicht, dem Goethe’schen Irrtum zu verfallen. Wenn man es gewohnt ist, Tag für Tag Experte auf seinem eigenen Gebiet zu sein, dann muss man sich manchmal aktiv daran erinnern, dass man trotzdem nicht überall Bescheid weiß. Aber genau das ist wichtig. Wissenschaft kann nur dann funktionieren, wenn man sich der eigenen Grenzen bewusst ist. Denn nur dann hat man eine Chance, sie zu erweitern. (Florian Freistetter, 6.11.2018)“
Als ich „Der Magier der Wissenschaft“ (ich hatte mich verlesen:) ) gelesen habe, dachte ich „Da gibt es doch nur einen!“, aber danke. Wie immer interessant
Ich würd ja gern… aber eigentlich haste schon selbst alles gesagt.