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Sternengeschichten Folge 387: Der Asteroid Hygiea
Ich habe das Gefühl, ich hab schon viel zu lange nicht mehr über Asteroiden gesprochen. Über Asteroiden könnte man eigentlich immer sprechen; diese Himmelskörper sind enorm faszinierend und definitiv viel mehr als nur simple, langweilige Felsbrocken im All. Deswegen will ich mich heute ganz einem einzigen Asteroid widmen: Hygiea.
Hygiea ist einer der Veteranen im Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Das erkennt man auch direkt am Namen: Die offizielle Bezeichnung lautet „(10) Hygiea“ was bedeutet, dass es der 10. Asteroid war, den man entdeckt hat. Der erste war Ceres, über dessen Entdeckung ich in Folge 186 schon ausführlich gesprochen habe. Das war im Jahr 1801. Im Jahr 1802 folgte die Entdeckung des Asteroiden Pallas. 1804 kam Juno in die noch kleine Asteroidenfamilie dazu. 1807 entdeckte man den Asteroid Vesta, den ich in Folge 239 ausführlich vorgestellt habe. Dann musste man ein wenig warten, erst 1845 folgte mit der Entdeckung von Astraea die Nummer fünf. 1847 war ein gutes Jahr für die Asteroidenforschung, denn da fand man gleich drei Stück: Hebe, Iris und Flora. Nummer neun auf der Liste ist Metis, 1848 entdeckt. Und dann, am 12. April 1849 wurde endlich Hygiea entdeckt.
Keine Sorge – ich gehe jetzt nicht die ganze Liste aller bekannter Asteroiden des Sonnensystems durch. Das wären über eine halbe Million und würde den Rahmen der Folge ein klein wenig sprengen. Aber man kann vielleicht anhand der 10 Stück die ich jetzt kurz durchgegangen bin schon erkennen, dass die Entdeckung eines Asteroiden damals durchaus eine besondere Sache war. In den ersten 5 Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hat man nur 10 Asteroiden entdeckt; im Schnitt also nur einen alle 5 Jahre. Da konnte man schon zufrieden sein und ein wenig Ruhm erlangen wenn einem das gelungen ist. Zufrieden war mit Sicherheit auch der italienische Astronom Annibale de Gasparis. Er war es, im Alter von nur 29 Jahren, der Hygiea fand. Und eigentlich hätte ihm das auch schon ein wenig früher gelingen können; zumindest wenn man nach der Größe der Asteroiden geht und annimmt, dass sie um so leichter zu finden sind, je größer sie sind. Hygiea hat einen Durchmesser von 434 Kilometer, was den Himmelskörper zum viertgrößten Objekt im Hauptgürtel der Asteroiden macht. Nur Ceres, Pallas und Vesta sind noch größer.
Hygiea hat aber mehr zu bieten als nur schiere Größe. Zum Beispiel ein astronomisches Symbol. Wer alte Bücher über Astronomie liest oder genau in manche moderne Lehrbücher blickt, wird dort das eine oder andere komische Symbol finden. Und damit meine ich jetzt nicht die ganzen speziellen Zeichen die die Mathematik zu bieten hat. Die sind nicht seltsam und die findet man überall in der Naturwissenschaft. Aber vielleicht sieht man einen Kreis mit einem Punkt in der Mitte: Das ist das astronomische Symbol für die Sonne und es wird oft verwendet, wenn man zum Beispiel klar machen will, dass sich eine Größe – eine Masse, ein Radius, und so weiter – auf die Sonne bezieht. Das Symbol für die Erde ist ein Kreis mit einem kleinen Kreuz darauf; das Symbol des Mondes ist eine kleine Mondsichel. Auch die Planeten haben alle eigene Symbole; das von Jupiter etwa sieht ein wenig aus wie eine verbogene „4“, stellt aber den Blitz des Gottes Jupiters dar. Mars hat das Symbol, das man auch als klassisches Symbol der Männlichkeit kennt: Einen Kreis mit einem schräg abgehenden Pfeil, was Schild und Speer des Gottes Mars symbolisiert. Und so weiter. Die Symbole stammen noch aus einer Zeit, als Astronomie und Astrologie keine getrennten Disziplinen waren und wo die Welt der Sterne und Planeten gleichzeitig auch die Welt der Götter und Mythen war. Später, als die Astronomie eine ernsthafte Wissenschaft wurde und die Astrologie nur Aberglaube blieb, hat man sie weiter benutzt um in mathematischen Formeln und Diagrammen die Himmelskörper zu markieren.
Und wie kommt Hygiea zu einem eigenen Symbol? Was hat ein Asteroid im Klub der Planeten zu suchen? Nichts – aber damals hat man Hygiea unter den Planeten geführt. Genau so wie Ceres, Pallas, Juno, Vesta und die ganzen anderen Objekte die ich vorhin aufgezählt habe und die wir heute „Asteroiden“ nennen. Ich habe ja schon in Folge 342 erklärt, wie die Asteroiden ihren Namen bekommen haben und wie lange es gedauert hat, bis man sie als eigenständige Gruppe von Himmelskörpern von der der Planeten getrennt hat. Und weil man im 19. Jahrhundert die Asteroiden noch als Planeten des Sonnensystems geführt hat, haben sie natürlich auch alle entsprechende astronomische Planetensymbole bekommen. Hygiea einen Stab, um den sich eine Schlange windet, den berühmten „Äskulapstab“, also das Zeichen des griechisch-römischen Gottes Asklepios bzw. Äskulap, der für die Heilkunst zuständig war (weswegen man dieses Symbol auch heute noch an Apotheken, Krankenhäusern oder Arztpraxen sehen kann). Asklepios hatte eine Tochter, die Göttin der Gesundheit und Schutzpatronin der Apothekerinnen und Apotheker. Ihr Name ist „Hygieia“ und Ernesto Capocci, der Direktor der Sternwarte von Neapel an der de Gasparis seine Entdeckung machte, suchte ihren Namen als Namen für den neuen Himmelskörper aus. Genauer gesagt: er nannte den Asteroid „Igea Borbonica“ um auch das Haus Bourbon-Sizilien zu ehren, das damals über Neapel herrschten. So was war damals üblich, auch andere Asteroiden bekamen Namen mit denen Adelshäuser und Könige geehrt werden sollten. Aber diese wissenschaftliche Schleimerei kam nicht gut an; vor allem bei den Kollegen aus anderen Ländern mit anderen Königen und Adeligen. Und deswegen legte man diese Zusatzbezeichnungen irgendwann ab und übrig blieb die heutige Bezeichnung „Hygiea“.
Nach all der Mythologie und Geschichte wird es aber Zeit für ein bisschen echte Astronomie. Hygiea ist ein klassischer Asteroid des Hauptgürtels; gehört also zu der großen Gruppe an Himmelskörpern die sich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter befinden. Seine Bahn ist annähernd kreisförmig und der mittlere Abstand zur Sonne beträgt das 3,14fache des mittleren Abstands zwischen Sonne und Erde. Aus Beobachtungen kennen wir auch die Zeit die Hygiea braucht um sich einmal um ihre Achse zu drehen: 13 Stunden und 50 Minuten. Für eine Runde um die Sonne braucht der Asteroid dagegen ganze 5 Jahre, 6 Monaten und 24 Tage. Aus der Nähe beobachtet haben wir Hygiea leider noch nicht. Selbst von der Erde aus ist der Asteroid schwer zu sehen. Er ist dunkler als es angesichts seiner Größe zu erwarten wäre, was auch der Grund ist, warum er erst so spät entdeckt wurde. Seine Oberfläche muss also dunkel sein und man geht davon aus, dass sie einen großen Anteil an Kohlenstoff enthält. Das kennen wir auch von Meteoriten die wir hier auf der Erde gefunden haben, den sogenannten „Kohligen Chondriten“. Sie enthalten bis zu 3 Prozent Kohlenstoff – was durchaus viel ist für einen Meteorit – und was für eine dunkle Färbung sorgt. Da Meteorite nichts anderes sind als Asteroiden bzw. Bruchstücke von Asteroiden die auf die Erde gefallen sind, ist es auch nicht überraschend, das wir ähnliche Eigenschaften auch bei den Objekten beobachten die noch durchs All fliegen.
Hygiea gehört zu sogenannten „Hygiea-Familie“ – über diese Asteroidengruppen habe ich ja schon in Folge 111 mehr erzählt. Sie entstehen, wenn ein großer Asteroid bei einer Kollision in mehrere Stücke auseinander bricht. Dann entsteht eine „Familie“ aus kleineren Objekten die alle ähnliche Bahnen haben. Im Falle von Hygiea geht man davon aus, dass die entsprechende Kollision vor circa 2 Milliarden Jahren stattgefunden hat. Was dabei abgelaufen ist, ist naturgemäß schwer zu rekonstruieren. Auf jeden Fall war da ein Himmelskörper der größer war als es Hygiea heute ist. Der muss mit einem ebenfalls großen Objekt kollidiert sein. Es kann sein, dass diese Proto-Hygiea dabei komplett zerstört wurde; dann hätte sich die Mehrheit der Bruchstücke zur heutigen Hygiea formen müssen und nur ein kleiner Teil wäre zu anderen, neuen Asteroiden geworden. Denn betrachtet man alle bekannten Mitglieder der Hygiea-Familie, dann macht Hygiea selbst mit ihrer Masse den absolut dominanten Anteil aus. Die beiden nächstgrößeren Objekte der Familie sind nur 70 Kilometer groß und der Rest ist noch viel kleiner. Es kann auch sein, dass die Ur-Hygiea nicht zerstört wurde sondern dort durch die Kollision nur ein großer Krater geschlagen wurde und die restlichen Familienmitglieder aus diesem Material entstanden sind. Dafür sind die anderen Asteroiden der Gruppe aber wieder fast zu groß; der Einschlag mit dem sie entstehen hätten können, wäre so gewaltig gewesen, dass der ursprüngliche Asteroid kaum überlebt hätte.
Ohne genaue Daten über Hygiea ist das alles schwer zu rekonstruieren. Von der Erde aus ist der dunkle Himmelskörper nur schwer im Detail zu untersuchen. Mit dem großen Teleskop der Europäischen Südsternwarte konnte man immerhin zwei dunkle Flecken erkennen, die als große Krater interpretiert werden. Sie tragen passenderweise die Namen Serpens und Calix, also „Schlange“ und „Kelch“, die beiden Symbole der Göttin Hygieia.
Es hilft alles nichts – wir müssen in die Nähe von Hygiea fliegen, wenn wir mehr wissen wollen. Das ist aber leider nicht so einfach und es ist keine entsprechende Mission geplant. Es wäre auch schwer sich zu entscheiden, wohin man fliegen soll. Alle Asteroiden die dort draußen herumfliegen sind eigene kleine Welten mit ihren eigenen faszinierenden Geschichten. Wir haben von den hundertausenden bekannten (und Millionen unbekannten) Objekten gerade mal ein gutes Dutzend aus der Nähe gesehen. Da draußen warten noch unzählige Welten darauf, von uns entdeckt zu werden!