Am 5. April 2020 starb Margaret Burbidge im Alter von 101 Jahren. Die Astronominnen und Astronomen werden ihren Namen (hoffentlich) kennen; alle anderen sollten ihn kennen. Sie war maßgeblich dafür verantwortlich das wir heute wissen, wie die Elemente entstanden sind aus denen all das besteht was wir sind und was uns umgibt.
Wer in der Astronomie das Kürzel „B2FH“ sieht weiß normalerweise, was damit gemeint ist. Es steht für die Nachnamen von Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge, William Fowler und Fred Hoyle. Und bezeichnet einen wissenschaftlichen Artikel den die vier im Jahr 1957 veröffentlicht haben. Offiziell trägt der den Titel „Synthesis of the Elements in Stars“; inoffiziell bzw. eigentlich mittlerweile genau so offiziell ist die Arbeit als „B2FH“ bekannt geworden. Es kommt nicht oft vor, dass eine wissenschaftliche Facharbeit einen „Spitznamen“ bekommt und wenn es doch einmal passiert, dann hat das gute Gründe. Die es auch in diesem Fall gibt: B2FH war eine der wichtigsten astronomischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts. Dort wird das erklärt, was wir heute „stellare Nukleosynthese“ nennen.
Anders gesagt: Es geht um die Frage wo alles herkommt. Nicht unbedingt „alles“; das ist Thema der Kosmologie und der Erforschung des Urknalls. Aber nachdem das Universum selbst einmal entstanden war, sind darin ja noch jede Menge andere Dinge entstanden. Sterne. Planeten. Galaxien. Menschen. Tiere. Bier. Schokolade. Alles eben – und all diese Dinge bestehen aus kleineren Dinge. Die nennt man „chemische Elemente“ und sie müssen irgendeinen Ursprung haben. Noch bis in die 1950er Jahre hinein ging man davon aus, dass die unterschiedlichen chemischen Elemente – also das ganze Zeug das wir aus dem Periodensystem der Elemente kennen; Wasserstoff, Kohlenstoff, Schwefel, Gold, Silber, usw – alle direkt nach dem Urknall entstanden sind. Damals bildeten sich zuerst die Bausteine der Atome – die Protonen, Neutronen und Elektronen – und die hätten sich dann zu den Elementen in der Menge die wir heute beobachten zusammengesetzt. Das bedeutet, dass das Universum von Anfang an mit einem kompletten Satz an chemischen Elementen ausgestattet gewesen wäre an dem sich dann auch nicht mehr groß etwas geändert hat.
Dann aber fand man heraus, dass Sterne in ihrem Inneren durch Kernfusion Wasserstoff zu Helium transformieren können. Zumindest in diesem Fall würde sich also doch etwas ändern: Die Menge an Wasserstoff im Universum sinkt; die an Helium steigt. Und die Leute fingen an zu vermuten, dass auch die restlichen Elemente vielleicht nicht von Anfang an da gewesen sind. Sondern ebenfalls durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstehen. Aber wie genau? Der erste, der dazu eine wirklich vernünftige Meinung hatte, war der britische Astronom Fred Hoyle. Er erklärte, das nur Wasserstoff und Helium (und sehr geringe Mengen von Lithium und Beryllium) direkt nach dem Urknall entstanden sind und der ganze Rest aus der Kernfusion im Inneren von Sternen stammt. Das kann man aber nicht einfach so behaupten; man muss auch Wege aufzeigen WIE das passieren kann. Es war zum Beispiel sehr schwierig, aus dem was in einem Stern vorliegt – also Wasserstoff und Helium – etwas anderes zu bauen. Kohlenstoff zum Beispiel: Der hat 12 Teilchen im Kern (Protonen und Neutronen). Helium hat aber nur 4. Man könnte ja meinen, man muss einfach nur drei Heliumatome zusammenwerfen und sie fusionieren fröhlich zu Kohlenstoff. So einfach ist es aber nicht; die Chance dass das passiert ist enorm gering. Und wenn man aus Helium Stück für Stück Kohlenstoff bauen will, landet man bei Zwischenprodukten die instabil sind und sofort wieder zerfallen. Hoyle fand eine Lösung für dieses Problem (die ich hier ausführlich vorgestellt habe. Aber es gibt ja noch viel mehr Elemente als Kohlenstoff…
Das Thema der stellaren Nukleosynthese ist knifflig. Man braucht nicht nur Ahnung von Astronomie sondern auch von Atomen wenn man die ganze Sache vernünftig verstehen will. Hoyle hatte auf jeden Fall Ahnung von Astronomie; er war einer der wichtigstens Astronomen des 20. Jahrhunderts. Ahnung von Atomen hatte dagegen der amerikanische Kernphysiker William Fowler, der 1954 nach Cambridge in England reiste um dort Fred Hoyle zu besuchen. Beide begannen an der Enstehung der Elemente in Sternen zu arbeiten und luden das Ehepaar Margaret und Geoffrey Burbidge ein, sich zu beteiligen. Die beiden waren – im Gegensatz zum Theoretiker Hoyle – auch in der Beobachtung des Himmels aktiv und hatten sich unter anderem darauf spezialisiert die Metallizität der Sterne zu bestimmen. Das hat nichts mit Stahl und Eisen zu tun; „Metall“ heißt in der Astronomie alles was kein Wasserstoff oder Helium ist (wie ich hier im Detail erklärt habe). Wenn die Elemente wirklich im Inneren der Sterne laufend entstehen, dann muss das prinzipiell durch Beobachtungen überprüfbar sein. Je früher ein Stern entstanden ist, desto weniger Elemente die kein Helium oder Wasserstoff sind kann er enthalten. Sterne die kurz nach dem Urknall entstanden sind müssen also eine geringe Metallizität haben; Sterne die erst später entstanden sind – wie unsere Sonnen – sollten dagegen mehr „Metalle“ (wie Kohlenstoff, Sauerstoff, etc) enthalten weil diese Elemente ja schon von den Sternen der vorherigen Generation gebildet und im All verteilt worden waren.
Und dann gibt es ja noch Elemente wie Gold, Silber oder Platin; die wirklich schweren Elemente: Die können nicht durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstehen sondern nur in den hochenergetischen Prozessen die ablaufen wenn ein großer Stern explosiv sein Leben beendet (das habe ich hier genauer erklärt). Für jedes Element muss man einen passenden Prozesse finden durch den es entstehen kann; es braucht Vorschläge wie die Prozesse durch Beobachtungsdaten überprüft werden können und die entsprechenden Beobachtungen. All das haben Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge, William Fowler und Fred Hoyle in ihrem Artikel aufgeschrieben, der mit 108 Seiten eigentlich ein kleines Buch ist. Im Gegensatz zu Hoyles früheren Arbeiten, die von der Fachwelt weitestgehend ignoriert bzw. nur im kleinen Kreis aufgenommen wurden, schlug B2FH richtig ein. Der Artikel verbreitete sich in der Kernphysik genau so wie in der Astronomie und legte das Fundament auf dem unser heutiges Wissen über die Vorgänge im Inneren von Sternen ruht.
Fowler, der Physiker im Team, erhielt 1983 den Nobelpreis für Physik: „For his theoretical and experimental studies of the nuclear reactions of importance in the formation of the chemical elements in the universe.“, wie das Nobelpreiskomitee erklärte. Wenn Fowlers Arbeit an B2FH mit ein Grund für diesen Preis war, dann hätten die anderen eigentlich auch geehrt werden müssen. Hoyle hätte den Preis mit Sicherheit ebenfalls verdient, aber es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass er aufgrund seiner eher unkonventionellen Ansichten zu gewissen Bereichen der Astronomie ignoriert wurde. Hoyle war ein erbitterter Gegner des Urknalls und vertrat das „Steady-State-Universum“, das keinen Anfang und kein Ende in der Zeit hat. Und er war der Meinung, das All wäre voll mit Bakterien, Viren und Mikroorganismen die in großen Wolken zwischen den Sternen schwirrten und ab und zu mit Meteoriten auf die Erde fallen und dann Seuchen wie die Pest ausgelöst haben. Alles falsch, wie wir heute wissen und trotzdem kein Grund die genialen korrekten Ideen von Hoyle zu ignorieren. Auch Geoffrey Burbidge war ein Anhänger der Steady-State-Theorie. Aber es gab eigentlich absolut keinen Grund Margaret Burbidge nicht mit einem Nobelpreis auszuzeichnen (und Fowler selbst war ebenfalls schockiert dass nur er den Preis bekam). Keinen Grund, bis auf ihr Geschlecht… Dass das Nobelpreiskomitee ein Problem damit hat, die naturwissenschaftlichen Leistungen von Frauen anzuerkennen ist ja leider ein altes Problem. Rosalind Franklin, Vera Rubin, Jocelyn Bell, Chien-Shiung Wu, Lise Meitner, Margaret Burbidge… die Liste ist lang und könnte noch fortgesetzt werden.
Margaret Burbidge hat aber nicht nur an B2FH gearbeitet. Ihr astronomisches Leben ist lang und erzählenswert (und ich empfehle allen die Lektüre dieser sehr umfangreichen Biografie). Schon von Kindheit an war sie von der Astronomie fasziniert. Ihre Doktorarbeit schrieb sie während des zweiten Weltkriegs und es ist höchst absurd ihre Beobachtungstagebücher der damaligen Zeit zu lesen. Zuerst beschreibt sie Probleme mit der Technik, erklärt dann auf welche Objekte sie das Teleskop in dieser Nacht richtet um dann zwischendurch Sätze einzuschieben wie „Flying bomb exploded very close and shifted star in dec[lination] out of the field. Star recovered & exposure restarted“.
Nach ihrer Doktorarbeit über die Physik des veränderlichen Sterns Gamma Cassiopeia widmete sie sich der Erforschung der Form der Milchstraße (damals, in den 1950er Jahren war immer noch nicht klar ob unsere Galaxie eine Spiralgalaxie ist oder nicht). Danach begann sie sich für die Entstehung der Elemente zu interessieren was schließlich zur Publikation von B2FH mündete. Auch danach blieb sie dem Thema treu, beobachtete Sterne, bestimmte deren Alter und Metallizität und konnte zeigen, dass die Sterne tatsächlich um so mehr schwere Elemente enthalten je länger nach dem Urknall sie entstanden sind. Danach begann sie, Quasare zu erforschen; Objekte die damals gerade erst entdeckt worden waren und von denen niemand so genau wusste um was es sich handelt (es sind die aktiven Zentren bzw. schwarzen Löcher in fernen Galaxien). 1973 entdeckte sie einen Quasar, der für fast 10 Jahre der am weitesten entfernte bekannte Quasar war und in den 1980er Jahren war sie an der Entwicklung von Instrumenten für das Hubble-Weltraumteleskop beteiligt. Mit ihrem Team konnte sie unter anderem zeigen, dass die Galaxie M87 ein enorm großes schwarzes Loch in ihrem Zentrum hat – genau die Galaxie und genau das schwarze Loch von dem 2019 das erste Bild gemacht werden konnte.
Margaret Burbidge war die erste Frau die Direktorin der königlichen Sternwarte von Greenwich wurde (und das war auch das erste Mal, dass die Person in dieser Funktion nicht auch den Posten des „königlichen Astronoms“ erhielt; vermutlich weil man keine königliche Astronomin haben wollte). 1976 wurde sie die erste Frau die die Präsidentschaft der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft inne hatte und nutzte ihre Rolle um die Mitglieder davon zu überzeugen, Konferenzen der Gesellschaft nur in den US-Staaten abzuhalten die den Verfassungszusatz ratifiziert hatten, der Frauen die gleichen Rechte einräumte wie Männer. Was 1976, dem Jahr in dem Burbidge Präsidenten wurde nur 35 Staaten getan hatten; damit der Zusatz aber wirklich Teil der Verfassung werden konnte waren allerdings 38 nötig (Die bis zum Ende der Ratifizierungsfrist im Jahr 1982 übrigens NICHT erreicht wurden, weswegen das „Equal Rights Amendment“ heute kein Teil der US-Verfassung ist)
William Fowler starb im Jahr 1995; Hoyle lebte bis 2001. Margarets Ehemann verstarb 2010 und in den letzten 10 Jahren war sie die letzte noch lebende Autorin von B2FH. Nun ist auch sie gestorben und hinterlässt der Astronomie ein Werk, dass die Disziplin und unser Wissen um die Welt verändert hat.
P.S. Und wer sich wundert, warum es im ganzen Text hier kein Bild von Margaret Burbidge gibt: Nun, es scheint so, als würde von ihr kein Bild unter einer freien Lizenz existieren…
> Nun, es scheint so, als würde von ihr kein Bild unter einer freien Lizenz existieren…
Es gibt den Nachruf der New York Times:
https://www.nytimes.com/2020/04/06/science/space/e-margaret-burbidge-dead.html
@Karl: Ja, Bilder gibt es natürlich jede Menge; auch in dem von mir empfohlenen und verlinkten Artikel in Sky & Telescope. Aber eben keine unter einer FREIEN Lizenz; nix unter Creative Commons etc. Nur weil irgendwo ein Bild ist, heißt das ja nicht, dass ich das auch verwenden darf…
> Ihr astronomisches Leben ist lang und erzählenswert (und ich empfehle allen die Lektüre dieser sehr umfangreichen Biografie).
Deine Rede (sie ist irreführend) habe ich beim Wort genommen und erst einmal nach was Handlichem gesucht. Die New York Times hat für solche Fälle die erfahrensten Experten oder lädt solche ein: Margalit Fox is a former senior writer on the obituaries desk at The Times.
Bei Sky & Telescope heißt es:
In the July 2019 issue of Sky & Telescope, we ran this article celebrating the 100th birthday of renowned astronomer Margaret Burbidge. Now that we have learned of her passing, we are rerunning this article online in a celebration of her life and work.
Der Artikel ist lesenswert, aber eben keine „umfangreiche Biografie“.
Zu B2FH: Astronomie ist eine eigene Wissenschaft, da besteht kein Zweifel, aber wenn deren Entdeckungen mit der bekannten Physik nicht unmittelbar in Einklang zu bringen sind, zählt letztlich der Beitrag Fowlers. Salpeters Rolle war mitentscheidend:
https://en.wikipedia.org/wiki/Triple-alpha_process
@Karl: Leider hat noch niemand ein Buch über Burbidge geschrieben. Ihre Autobiografie ist auch nur ein Artikel in einer Fachzeitschrift: https://www.annualreviews.org/doi/10.1146/annurev.aa.32.090194.000245 Sorry dass dir mein Link nicht umfangreich genug war.
„Astronomie ist eine eigene Wissenschaft, da besteht kein Zweifel, aber wenn deren Entdeckungen mit der bekannten Physik nicht unmittelbar in Einklang zu bringen sind, zählt letztlich der Beitrag Fowlers.“
Ich hab keine Ahnung was du damit sagen willst.
Wir reden aneinander vorbei:
Du verlinkst auf eine angeblich „sehr umfangreiche Biografie“. Mir ist das momentan zu lang. Ich ignoriere den Link, suche weiter und lande bei der New York Times.
> “Astronomie ist eine eigene Wissenschaft, da besteht kein Zweifel, aber wenn deren Entdeckungen mit der bekannten Physik nicht unmittelbar in Einklang zu bringen sind, zählt letztlich der Beitrag Fowlers.”
> Ich hab keine Ahnung was du damit sagen willst.
Weiter ober hast du gesagt: Wenn Fowlers Arbeit an B2FH mit ein Grund für diesen Preis war, dann hätten die anderen eigentlich auch geehrt werden müssen.
Da sträuben sich bei mir die Haare. Ich meinte folgende Passage:
The triple alpha process is highly dependent on carbon-12 and beryllium-8 having resonances with slightly more energy than helium-4, and before 1952, no such energy levels were known for carbon. The astrophysicist Fred Hoyle used the fact that carbon-12 is abundant in the universe as evidence for the existence of a carbon-12 resonance. The only way Hoyle could find that would produce an abundance of both carbon and oxygen is through a triple alpha process with a carbon-12 resonance near 7.68 MeV.
Hoyle went to nuclear physicist William Alfred Fowler’s lab at Caltech and said that there had to be a resonance of 7.68 MeV in the carbon-12 nucleus. (There had been reports of an excited state at about 7.5 MeV.) Fred Hoyle’s audacity in doing this is remarkable, and initially the nuclear physicists in the lab were skeptical. Finally, a junior physicist, Ward Whaling, fresh from Rice University, who was looking for a project decided to look for the resonance. Fowler gave Whaling permission to use an old Van de Graaff generator that was not being used. Hoyle was back in Cambridge when his prediction was verified a few months later. The nuclear physicists put Hoyle as first author on a paper delivered by Whaling at the Summer meeting of the American Physical Society. A long and fruitful collaboration between Hoyle and Fowler soon followed, with Fowler even coming to Cambridge. By 1952, Fowler had noted the beryllium-8 resonance, and Edwin Salpeter calculated the reaction rate taking this resonance into account.
This helped to explain the rate of the process, but the rate calculated by Salpeter seemed too low at the temperatures expected in supernovas. When Fowler’s lab discovered a carbon-12 resonance near 7.65 MeV it eliminated the discrepancy between the nuclear theory and the theory of stellar evolution.
Und zu Salpeter:
In 1951 Salpeter suggested that stars could burn helium-4 into carbon-12 with the Triple-alpha process not directly, but through an intermediate metastable state of beryllium-8, which helped to explain the carbon production in stars.
Es geht also alles mit rechten Dingen zu. An dem Problem haben viele gearbeitet, die bedeutende Beiträge lieferten. Wenn Burbidge meint, Hoyle hätte den Nobelpreis verdient: Einstein kriegte auch keinen für die Relativitätstheorie.