Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 266: Der Blinkkomparator
Als ich diese Folge der Sternengeschichten im Dezember des Jahres 2017 aufgenommen habe, konnte man in den Katalogen der Astronomen fast 750.000 bekannte Asteroiden finden. Und jeden Tag werden neue Kleinkörper entdeckt, die ihre Bahnen in unserem Sonnensystem ziehen. Die überwiegende Mehrheit dieser Kleinkörper wurden mit einer Technik gefunden die ein deutscher Physiker aus dem Rheinland im Jahr 1904 entwickelt hat.
Carl Pulfrich gehört nicht zu den großen Helden der Wissenschaftsgeschichte. Jeder kennt Albert Einstein, Isaac Newton oder Stephen Hawking. Aber den am 24. September 1858 geborenen Physiker sucht man in den Listen der bedeutenden Wissenschaftler meist vergeblich. Zu Recht, denn da gehört er auch nicht. Seine Forschung hat die Welt nicht revolutioniert. Aber die Arbeit der Astronomen sehr viel einfacher gemacht und die Entdeckung vieler Himmelskörper ermöglicht, die ohne ihn nicht oder erst viel später entdeckt worden wären.
Asteroiden zu entdecken ist ein mühsames Geschäft. Sie sind klein und leuchten nur schwach. Mit freiem Auge sind sie nicht zu sehen. Von der Erde aus sehen wir sie nur als schwach leuchtende Punkte die sich durch nichts von all den anderen Lichtpunkten am Himmel unterscheiden. Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit sie zu identifizieren. Man muss immer und immer wieder zum Himmel schauen und nachsehen ob sich dort irgendetwas verändert hat. Die meisten Lichtpunkte die wir sehen können, sind Sterne. Die bewegen sich zwar auch, aber so langsam, dass man es nur merkt wenn man über Jahre und Jahrzehnte hinweg extrem genaue Aufzeichnungen ihrer Position macht. Asteroiden allerdings bewegen sich schneller. Je nachdem wie gut die Teleskope sind, kann man schon nach einigen Wochen, Tagen oder heutzutage auch Stunden eine Veränderung sehen.
Früher war aber natürlich alles viel komplizierter. Man musste selbst durchs Teleskop schauen und hatte keine Möglichkeit das gesehene aufzuzeichnen. Außer man zeichnete es buchstäblich auf. Wenn man Asteroiden entdecken wollte, musste man das im Teleskop gesehene Bild des Himmels mit den Aufzeichnungen in Katalogen vergleichen und schauen, ob da irgendwo etwas war, dass da nicht hingehörte. Oder schauen, ob das Bild das man sah, sich von dem unterschied das man vor ein paar Tagen gesehen – und sich hoffentlich sehr genau gemerkt! – hat. Etwas einfacher wurde es, als die Astronomen die Fotografie einsetzen konnten. Jetzt musste man sich nicht mehr auf händische Aufzeichnungen oder das Gedächtnis verlassen, sondern konnte dauerhafte Bilder machen und später mit neuen Bildern vergleichen.
Aber auch das war mühsam. Man kann sich den Arbeitsprozess ja gut vorstellen: Vor einem liegen zwei Aufnahmen, auf jeder findet man unzählige kleine Punkte. Und man versucht den einen Punkt zu finden, dessen Position sich auf den beiden Bildern ein klein wenig verändert hat. Ohne zu wissen, ob es diesen Punkt überhaupt gibt. Die Suche nach Asteroiden war nichts für Adrenalinjunkies; es war ein anstrengender, langwieriger und vermutlich auch sehr langweiliger Prozess.
Und da kommt jetzt Carl Pulfrich ins Spiel! An der Universität Bonn studierte er Physik, Mathematik und Mineralogie. 1881 schrieb er dort seine Doktorarbeit über die Absorption von Licht in verschiedenen Medien. Er arbeitet als Assistent von Heinrich Hertz – bevor ihn Ernst Abbe 1890 nach Jena holte um dort in der Firma von Carl Zeiss zu arbeiten.
Er wurde zum Leiter der Abteilung für physikalische Messgeräte und beschäftigte sich ganz besonders mit dem räumlichen Sehen und der Stereoskopie. Das ist ein wenig überrraschend, denn Pulfrich selbst war auf dem linken Auge blind, was dem räumlichen Sehen ja nicht unbedingt förderlich ist. Trotzdem erfand er den Stereokomparator. Ganz vereinfacht gesagt, handelt es sich dabei um ein Gerät das genau das macht, was unsere beiden Augen auch machen. Unsere beiden Augen blicken aus leicht unterschiedlichen Winkeln auf die Welt. Und diese leicht unterschiedlichen Ansichten setzt unser Gehirn zu einem dreidimensionalen Bild zusammen. Pulfrich setzte dieses Prinzip in seinem Gerät technisch um und schuf so ein Messgerät, mit dem sich leicht zum Beispiel Abstände zwischen Objekten messen ließen. Ideal also etwa für die Kartografie und Landvermessung.
Eine Variation des Stereokomparators war der 1904 erfundene Blinkkomparator. Dort spannt man zwei fotografische Aufnahmen des Nachthimmels ein, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemacht wurden. Im Blinkkomparator kann man sie beide durch das gleiche Objektiv betrachten. Eine Mechanik erlaubte es, schnell zwischen der Betrachtung beider Bilder umschalten zu können. Sind beide Bilder exakt gleich, dann passiert nichts. Einen sichtbaren Effekt gibt es nur, wenn sich die beiden Bilder voneinander unterscheiden. Handelt es sich bei einem der Lichtpunkte um einen Asteroid, Komet oder Planet der seine Position verändert hat, dann zeigt der schnelle Bildwechsel diese Veränderung deutlich. Es handelt sich im Wesentlichen um ein Daumenkino, das nur aus zwei Bildern besteht. Der Blinkkomparator erlaubt es dem Beobachter, die beiden Bilder in schneller Folge abwechselnd hintereinander zu betrachten. Ein Lichtpunkt der seine Position gewechselt hat, springt bei der Betrachtung im Objektiv hin und her; er beginnt zu „blinken“.
Spätere Modelle waren technisch immer ausgereifter. Der Bildwechsel erfolgte elektrisch und die Frequenz konnte modifiziert werden. Die Blinkkomparatoren waren mit Apparaturen ausgestattet mit denen die Position der Sterne auf den Platten vermessen werden konnte. Der Blinkkomparator ermöglichte es den Wissenschaftlern, viele Bilder des Himmels schnell zu vergleichen und Veränderungen deutlicher zu sehen als vorher. Jede Sternwarte hatte so ein Gerät; ohne ging es einfach nicht mehr.
Die Suche nach Asteroiden war damit zwar immer noch mühsam, langwierig und langweilig – aber nicht mehr ganz so schwer wie zuvor. Vor allem weil man mit dem Blinkkomparator nicht nur Asteroiden und andere sich bewegende Objekte finden konnte. Er zeigte auch deutlich an, wenn ein Stern im Zeitraum zwischen den Aufnahmen seine Helligkeit verändert hatte. So war es möglich, nach veränderlichen Sternen zu suchen oder nach Supernova-Explosionen.
1912 benutzte die Astronomin Henrietta Swan Leavitt einen Blinkkomparator, um nach Sternen zu suchen, die ihre Helligkeit ändern. Sie fand jede Menge davon und unter anderem eine ganz spezielle, neue Klasse: die „Cepheiden“ genannt werden. Leavitt entdeckte einen Zusammenhang zwischen der Leuchtkraft der Sterne und der Periode der Helligkeitsänderung. Damit war es erstmals möglich die Distanz zu anderen Galaxien zu messen und die wahre Natur der räumlichen Ausdehnung unseres Universums zu erfassen (wie ich in Folge 20 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe).
Am 18. Februar 1930 folgte ein weiterer Triumph des Blinkkomparators. Clyde Tombaugh steckte am amerikanischen Lowell-Observatorium zwei Bilder in den von Carl Zeiss gefertigten Komparator: Eine Aufnahme stammt vom 23. Januar 1930, die anderen vom 29. Januar 1930. Die Sterne hatten sich in den 6 Tagen nicht bewegt, aber ein Lichtpunkt war sichtbar über den Himmel gewandert und begann im Objektiv von Tombaugh zu blinken. Er hatte den Pluto entdeckt, der damals noch der neunte Planet des Sonnensystems war.
Wer einen Blinkkomparator sehen will, der findet sie heute allerdings nur noch in den Museen der Sternwarten. Im 21. Jahrhundert machen die Astronomen keine fotografischen Aufnahmen mehr. Es gibt keine Fotoplatten die man in die Geräte einspannen kann um sie zu vergleichen. Es gibt nur noch digitale Daten – aber immer noch Computerprogramme die genau das tun, was Pulfrichs Gerät seit 1904 in allen Obersvatorien der Welt getan hat. Auch heute noch sind die Astronomen auf der Suche nach den subtilen Veränderungen am Nachthimmel. Denn immer dann wenn sich etwas verändert, ist die nächste Entdeckung nicht weit…
Ich denke mal, dass es wenig Sinn ergibt, in so einem Ding einen Planfilm einzuspannen. Es müssten schon richtige Fotoplatten sein, denn Film könnte sich verziehen. Darum die Frage: „Werden heute überhaupt noch Fotoplatten hergestellt?“
Was man damit will? Zum Beispiel mit alten Fotoplatten vergleichen. Vielleicht haben wir etwa Planet X schon längst auf einem Foto, haben aber seine wirkliche Natur nicht gefunden, da hier ein Abstand von wenigen Wochen zwischen den Bildern nicht ausreicht, es müssten vielleicht Jahrzehnte sein.
@pane
Habe die Vermutung das die alten Platten einfach digitalisiert werden ?
@pane
Ich denke nicht, dass Fotoplatten noch hergestellt werden. Was man aber machen kann, ist alte Fotoplatten digitalisieren. Mit Hilfe der Bildverarbeitung kann man dann, falls es von Interesse ist, Vergleiche anstellen.
@tomtoo
Gleicher Gedanke 😉
Anscheinend scheint das mit der Computersuch/Bildauswertung aber immer noch suboptimal zu sein. Da gabs mal so ein Projekt im Nermtz wo jeder mitmachen konnte. Mir fällt nur der Name nicht ein. Kennt das jemand ?
@tomtoo
Ich glaube was du meinst, ist die Rechenleistung des eigenen Computer zu spenden. Bei einer sehr grossen Datenmenge ist es logisch, dass man ordentlich Rechenpower benötigt.
Projekt SETI@home, wobei SETI für „Search for Extraterrestrial Intelligence“, also die Suche nach außerirdischer Intelligenz
@Karl-Heinz
Ne nicht Seti@Home. Ging darum Bilder mit dem Auge auszuwerten .
@K-H
Glaube ich habs.
https://www.zooniverse.org/projects/marckuchner/backyard-worlds-planet-9
Und dann gibts auch noch https://www.galaxyzoo.org
gibt halt wohl Dinge da ist der Mensch dem Composter ; ) immer noch überlegen.
@tomtoo
Du meinst wahrscheinlich „Galaxien am Bildschirm klassifizieren“
Projekt Galaxy Zoo 😉
https://sciencev2.orf.at/stories/1667532/index.html
@tomtoo
Ist ja wie Rätselraten, aber um einiges leichter als bei FF. 😉
@K-H
Dauert ja auch keine 24 Tage ; )
Warum haben wir denn nun ein Gehirn?
Antwort: zur Mustererkennung. 😉
@tomtoo
es gibt immer wieder mal Bildauswertung per Gehirn, da geht es aber eher darum komplexere Strukturen zu erkennen wie Blasen in Staubwolken oÄ, da sind die ‚puter noch nicht sehr überzeugend, aber das kommt noch
@Karl-Heinz
Ich habe davon gelesen, dass solche Projekte im Gange sind, aber die kosten viel Geld und Arbeit. Die meisten Platten werden einfach archiviert, und da braucht es z.T. die antiquierten Gerätschaften, um sie zu betrachten.
Aber das verliert zunehmend an Bedeutung, es werden mehr und mehr automatische Himmelsüberwachungssysteme installiert (LSST zum Beispiel), die den Himmel innerhalb weniger Nächte komplett durchmustern können und die mit Computerhilfe die unglaublichen Datenmenge (das sind Petabytes pro Durchgang) nach Veränderungen durchwühlen. Nicht zufällig gibt es schon mehrere Kometen PANSTARRS. Und dann haben wir den Astrometrie-Satelliten GAIA, der in wenigen Monaten die Bewegung von Objekten präzise messen kann, für die wir früher Jahrzehnte an Zeitdifferenz gebraucht hätten.
Die alten Fotoplatten werden also mehr und mehr obsolet. Aber man wird sie wohl noch lange Zeit aufbewahren, man weiß ja nie…
@Florian
Ha, ich habe noch 1989 im Rahmen eines Praktikums selbst mit einem Blinkkomparator an der Sternwarte Hoher List in der Eifel nach Asteroiden suchen dürfen. Das gehörte zu dem Programm an Demonstrationen praktischer Arbeit, die unser Astronomie-Prof seiner Vorlesung damals nahebringen wollte. Außerdem haben wir mit einem Mikrometer mehrere Spektren eines spektroskopischen Doppelsterns vermessen, und aus den Daten später mit Hilfe unserer Heimcomputer (bei mir war es ein Amiga) die Bahn berechnet. Werde ich immer in Erinnerung behalten.
@Alderamin
Ein Amiga, wie cool ! : )
Ein tolles Gerät, simpel und genial.
Mit heutigen Mitteln reicht ein Tastaturbefehl, um zB. zwei Bilder in Photoshop hin und her zu schalten.
Ich benutze die Technik zB. um verschiedene Versionen von Logos, Grafiken, Layouts, sogar Textversionen zu prüfen. Die Unterschiede sind da z.T. ähnlich minimal wie in der Astronomie und mit bloßem Auge kaum zu finden.
Leider hat Adobe den Kurzbefehl in einigen Programmen schon ersatzlos (&kommentarlos) gestrichen. Ich wollte dort schonmal ein Ticket machen „Gebt uns den Blinkkomparator zurück!“. Bisher war mir dafür aber meine Zeit zu schade (Ich könnte aus dem Stand ein Dutzend Adobe-Tickets eröffnen, aber was solls, andere Geschichte).
@pane
Ein guter Planfilm verzieht sich nicht mal so eben. Ich bin sicher, dass die für die Blinkkomparation hinreichend genau sind.
Das Ganze wird noch verbessert durch Projekte wie https://nova.astrometry.net/ – sie finden nicht nur raus, was man da fotografiert hat, sondern messen auch noch die Auflösung in Pixel pro Bogensekunde.
So lassen sich Bilder von anderen und historischen Teleskopen vergleichen.
Mann oh Mann, die Blinkkomparator sind gar nicht mal so klein.
Blinkkomparator
@Karl Heinz
Na ja, liegt auch an den Fotoplatten, siehe Bild.
@Karl-Heinz
Man blinkt übrigens nicht die ganze Platte auf einmal, sondern fährt mit einer Lupe (eigentlich mit zweien) über einen kleinen Ausschnitt des Fotos und scannt die Platte dann Stück für Stück ab.
@Alderamin
Echt cool. Das wäre ein mal ein lustiger Job, so etwas zu machen. 😉
Die meisten Kometen wurden mit SOHO entdeckt. Ein Satellit, der gar nicht dafür vorgesehen war, sondern für die Sonnenbeobachtung.
Natürlich werden die alten Platten archiviert. Es gibt doch auch schon einen Wissenschaftszweig, der die alten Beobachtungsdaten der Chinesen und Babylonier auswertet um mehr aus die Veränderungen seit damals zu lernen. Nicht alle Veränderungen sind linear.
Ich denke Carl Pulfrich war zumindest Anfang der 1980ger vielen Leuten durch den Pulfrich-Effekt bekannt. Wenn man ein Auge abdunkelt, so braucht dieses länger um etwas zu sehen. Das hat man damals dazu benutzt um billiges 3D-Fernsehen zu machen.
Hier ist so ein typisches Video
https://www.youtube.com/watch?v=NQCeMIQpFBc
[…] ca. 10.000 Dollar teuren Doppelastrografen zu erhalten. Sie erklärte uns in der Ausstellung den Blinkkomparator und wie es zur Entdeckung vieler Asteroiden durch das Teleskop gekommen ist. Anschließend gingen […]