Halloween steht zwar vor der Tür; der „Dämon“ um den es in der aktuellen Folge der Sternengeschichten geht, hat aber nichts mit Horror und Grusel zu tun. Es geht um die Frage, wie viel wir über unser Universum wissen können. Es geht um die Bedeutung der Naturgesetze und die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit. Und um die Frage, ob unser Sonnensystem stabil ist oder nicht.

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Transkription

Sternengeschichten Folge 205: Der Laplacesche Dämon

Der französische Astronom Pierre-Simon Laplace schrieb im Jahr 1814 im Vorwort seines „Philosophischen Essays über die Wahrscheinlichkeiten“ folgenden Text:

„Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“

Pierre-Simon Laplace (Bild: Public Domain)
Pierre-Simon Laplace (Bild: Public Domain)

Die „Intelligenz“ von der hier die Rede ist; die allwissend über das gesamte Schicksal des Universums Bescheid weiß hat nichts mit Gott zu tun. Mit der klassischen Religion hatte Laplace wenig zu tun; wenn, dann neigte er eher in Richtung Atheismus. Die Intelligenz von der er schreibt ist der Ausdruck seiner Überzeugung, dass das Universum nach absolut deterministischen Regeln abläuft. Nach Naturgesetzen, die man nur kennen muss um – zumindest im Prinzip – alles über unseren Kosmos wissen zu können was es zu wissen gibt. Die Intelligenz die Laplace beschreibt wurde später als „Laplacescher Dämon“ bezeichnet und es lohnt sich, einen genaueren Blick darauf zu werfen, was hinter dieser seltsamen Geschichte steckt.

Alles fängt – wie so oft in der Naturwissenschaft – mit Isaac Newton an. Der geniale Wissenschaftler aus England hatte im 17. Jahrhundert neben vielen anderen Dingen auch das getan, für das er heute am bekanntesten ist: Die mathematische Beschreibung der Gravitation. Er konnte nicht nur zeigen, mit welchen mathematischen Gesetzen sich die Anziehungskraft zwischen Objekten beschreiben lässt sondern auch demonstriert, dass die Gravitation universal ist, also ÜBERALL wirkt; zwischen den Planeten und Himmelskörpern genau so wie zwischen den alltäglichen Objekten hier auf der Erde. Der berühmte fallende Apfel folgt den gleichen Gesetzen wie der Mond auf seinem Weg um die Erde oder die Planeten auf ihren Bahnen um die Sonne.

Aber so genial Newton auch war; erst die ihm nachfolgenden Forscher konnten die wahre Macht und Bedeutung seiner Gravitationstheorie zeigen. Das, was Newton begonnen hatte mussten andere vollenden und der, der am meisten dazu beigetragen hat war Pierre-Simon Laplace. Zwischen 1799 und 1823 schrieb er sein fünfbändiges Hauptwerk, den Traité de Mécanique Céleste, also die „Abhandlung über die Himmelsmechanik“. Darin fasste er alles zusammen, was seit Newton über die Bewegung der Himmelskörper und ihre gravitative Wechselwirkung erforscht wurde. Darin veröffentlichte er aber auch vor allem seine eigene mathematische Forschung über die Dynamik der Planeten im Sonnensystem.

Newtons Gleichung zur Berechnung der Gravitationskraft zwischen zwei Himmelskörpern ist ja vergleichsweise einfach. Kennt man die Massen der beteiligten Objekte und ihren Abstand, dann kann man daraus mit simpelster Mathematik die zwischen ihnen wirkende Anziehungskraft berechnen. Aber wenn man einen Schritt weiter geht, wird es schon komplizierter. Erst einmal ändert sich ja alles ständig. Die Anziehungskraft zwischen den Planeten verändert ihre Position und die veränderte Position führt zu einer veränderten Anziehungskraft die wieder zu einer veränderten Position führt, und so weiter. Solange man nur zwei Objekte betrachtet, zum Beispiel einen Planeten und die Sonne, lässt sich die Angelegenheit noch halbwegs einfach lösen und man kommt zu dem Ergebnis, dass der Planet die Sonne für alle Zeiten auf einer elliptischen Bahn umkreisen wird. Aber es gibt eben nicht nur einen Planeten und die Sonne. Es gibt acht Planeten (obwohl Neptun zu Laplaces Zeit noch nicht entdeckt war) und dazu noch jede Menge kleinere Monde, Asteroiden und Kometen. Und ALLE beeinflussen sich ständig gegenseitig über ihre Gravitationskraft.

Dieses viel komplexere Problem mathematisch in den Griff zu bekommen ist fast unmöglich. Und so überzeugt man im 17. und 18. Jahrhundert auch von Newtons Leistung war, war man sich dennoch auch bewusst, dass die aus seiner Theorie gewonnenen Vorhersagen nicht immer ganz korrekt waren. Jupiter und Saturn beispielsweise wichen auf ihren beobachteten Bahnen immer wieder von den berechneten ab. Genau hier konnte Laplace aber zeigen, wie gut die von Newton gefundenen Gesetze tatsächlich sind. Er fand einen Weg, die komplexe Wechselwirkung zwischen den beiden Planeten einerseits und deren jeweiliger Wechselwirkung mit der Sonne zu beschreiben und entdeckte die sogenannte „große Ungleichheit“. Damit wird die Tatsache bezeichnet, dass zwei Umläufe von Saturn um die Sonne fast so lange dauern wie fünf Umläufe des Jupiters. Diese Resonanz in der Bewegung der beiden Planeten führt zu einer periodischen Störung; die gravitative Wechselwirkung kann stärker werden als sie es normalerweise ist und die Bahnen verändern sich ebenfalls stärker als erwartet.

Das Universum ein Uhrwerk? (Bild: Public Domain)
Das Universum ein Uhrwerk? (Bild: Public Domain)

Laplace stellte aber ebenfalls fest, dass die Störungen zwar vorhanden sind, aber nicht über alle Grenzen hinaus wachsen können. Die Bahnen von Jupiter und Saturn verändern sich zwar ständig, genau so wie es die Bahnen der anderen Planeten aufgrund ihrer wechselseitigen Störungen tun. Aber es gibt Grenzen und die Störungen können nicht beliebig groß werden. Das heißt aber nichts anderes, als dass unser Sonnensystem tatsächlich stabil ist! Vor diesem Ergebnis von Laplace – und es war ein enorm wichtiges Ergebnis und eine mathematische Meisterleistung diese komplexen Berechnungen anzustellen! – war man sich nicht sicher, ob die Planeten des Sonnensystems vielleicht nicht doch einfach irgendwann in ferner Zukunft vielleicht miteinander kollidieren oder in die Sonne stürzen können. Jetzt wusste man: Alles verändert sich zwar ständig, aber alles bleibt auch stabil! Und vor allem: Alles kann durch mathematische Gleichungen beschrieben werden; alles folgt streng den Naturgesetzen.

Das Universum war wie ein Uhrwerk. Es tickte immer weiter vor sich hin und wenn man wusste, wie es funktionierte, dann wusste man auch, was es in Zukunft tun würde und was es in der Vergangenheit getan hatte. Alles war deterministisch und Laplace war von dieser Vorstellung so beeindruckt, dass er den anfangs zitierten Abschnitt über die „Intelligenz“ aufschrieb, die genau all das wissen könnte.

Denn die Gesetze, die das Universum beschreiben waren ja, so dachte zumindest Laplace, bekannt. Wenn man jetzt auch noch die Daten kennen würde, die man in diese Gesetze stecken müsste um die Berechnungen durchführen zu können, also die Positionen und Geschwindigkeiten aller Objekte im Kosmos, dann müsste man einfach nur noch rechnen und wüsste alles.

Mittlerweile wissen wir allerdings, dass die Sache nicht ganz so simpel ist wie Laplace es sich dachte. Ein paar Jahrzehnte später stellte man fest, dass man eben nicht „einfach nur noch rechnen“ muss. Der französische Mathematiker Henri Poincaré zeigte, dass es mathematisch unmöglich ist, die gegenseitige Wechselwirkung von mehr als zwei Himmelskörpern zu berechnen. Selbst wenn er wollte: Der Laplacesche Dämon könnte seine Berechnungen gar nicht anstellen. Noch ein paar Jahrzehnte später kam Albert Einstein und zeigte mit seiner Relativitätstheorie, dass sich Information niemals schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Der Dämon kann also auch nicht über ALLE Objekte im Universum Bescheid wissen, weil manche davon so weit entfernt sind, dass die Informationen davon noch nicht genug Zeit hatten, um bis zu ihm zu gelangen. Und schließlich ist da noch die Quantenmechanik: Sie besagt, dass man auch von den Objekten die man kennt, nicht alle Informationen beliebig genau kennen kann. Man kann Position und Geschwindigkeit von Elementarteilchen beispielsweise nicht beide exakt kennen; es sind generell nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Der Determinismus der Laplace so beeindruckt hatte, war auf einer fundamentalen physikalischen Ebene falsch.

Das ändert aber nichts daran, dass Laplace uns mit seiner himmelsmechanischen Arbeit enorm viel über das Sonnensystem und die Bewegung der Himmelskörper gesagt hat. Die Physik und die Astronomie sind heute immer noch von den Ergebnissen seiner Forschung durchdrungen und sein Einfluss ist kaum zu überschätzen. Die Mathematik von Pierre-Simon Laplace hat es uns ermöglicht, die Dynamik des Univerums auf einer völlig neuen Ebene und mit einer ganz neuen Genauigkeit zu verstehen. Und das bleibt so, auch wenn sein Dämon nur eine Fiktion war…

10 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 205: Der Laplacesche Dämon“
  1. @tomtoo
    Nee…
    Der Maxwell Dämon müsste einfach mehr Moleküle trennen als er selbst an Energie verbraucht.

    Quelle: Wikipedia
    Das ursprüngliche Gedankenexperiment beschreibt einen Behälter, der durch eine Trennwand geteilt wird, die eine kleine verschließbare Öffnung enthält. Beide Hälften enthalten Luft von zunächst gleicher Temperatur. Ein Wesen, das die Moleküle „sehen“ kann – die Bezeichnung Dämon erhielt es erst später – öffnet und schließt die Verbindungsöffnung so, dass sich die schnellen Moleküle in der einen und die langsamen Moleküle in der anderen Hälfte des Behälters sammeln.

    Unter idealen Bedingungen muss zum Öffnen und Schließen der Öffnung in der Trennwand keine Energie aufgewendet werden. Trotzdem könnte man mit der entstehenden Temperaturdifferenz z. B. eine Wärmekraftmaschine betreiben. Man würde damit Arbeit verrichten und hätte gleichzeitig gegenüber dem Ausgangszustand letztlich keine weitere Veränderung außer einer Verringerung der Temperatur im Behälter. Damit wäre der zweite Hauptsatz der Thermodynamik („Es ist unmöglich, eine periodisch arbeitende Maschine zu konstruieren, die weiter nichts bewirkt als Hebung einer Last und Abkühlung eines Wärmereservoirs.“) verletzt und man hätte ein Perpetuum mobile zweiter Art gefunden.

  2. @Karl-Heinz

    Die ganze Thermodynamik basiert auf Statistik. Sieht man ja auch am Entropiebegriff. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass sich große Temperaturdifferenzen in einem Gas bilden, aber nicht völlig ausgeschlossen. Man muss nur seeeehr lange warten.

    Mit dem selben Argument und unendlich viel Zeit kann man ganze Universen aus dem Vakuum entstehen lassen.

  3. @Alderamin

    Ich glaube es steckt mehr dahinter als nur Statistik. Habe mich aber noch nicht mit dem Thema beschäftigt.

    Quelle: Wikipedia
    Aber Maxwell hatte ein tiefer greifendes Problem aufgeworfen, als man bis dahin erkannte. Mit der Dynamik der Moleküle und mit Hilfe der Statistik ließ sich zwar erklären, warum thermodynamische Prozesse spontan in ihrer „natürlichen“ Richtung ablaufen. Warum es aber nicht möglich sein sollte, solch einen Prozess mit geschicktem Einsatz technischer Mittel auch in umgekehrter Richtung zu erzwingen, war damit nicht zu erklären. Der zweite Hauptsatz, der nur ein Erfahrungssatz ist, verlangt aber genau diese Irreversibilität.

  4. Zuerstmal: Ohne diese Blogs wäre mein Leben öde wie eine Wüste (ohne Oasen, versteht sich).
    Und: Mögen die Blogs niemals vollständig in nichtsprachliche Formen (Videos, ähnliches) abwandern.
    Denn: Am besten kann ich die Inhalte aufnehmen, wenn ich sie lese, ohne akustische Ablenkung und nur visuelle Texterfassung ohne – nichts gegen irgendjemanden – visuelles Drum herum. So bleibt auch Zeit zum Verarbeiten, Nach- und Mitdenken. Und ich muss nicht ständig Pausenklicks drücken und dann mühsam ein paar Millimeter zurück neu starten.
    Und dann nochmal: Danke.

  5. Na da hat der Laplacsche Dämon aber Mist gebaut wenn Wissenschaftler jetzt plötzlich herausfinden dass Planet X in Kürze die Erde zerstören wird. 🙂

    Vielen Dank für den Artikel! Und natürlich auch für den anderen über „Journalismus“.

  6. @Anderas

    Der Laplacsche Dämon weiß alles, kann alles vorausberechnen, aber eingreifen darf er nicht, da ja alles vorherbestimmt (determiniert) ist.
    Ich glaub es liegt ein Fluch auf dem Laplacschen Dämon.

    Ich nehme an du meinst mit Planet X den Planeten neun. Ja das ist die Strafe dafür, dass wir Pluto als Planeten abgeschaft haben 😉

  7. Bei dem Thema fällt mir noch folgende Kurzgeschichte ein:
    „Wie Trurl und Klapauzius einen Dämon Zweiter Ordnung schufen, um Mäuler den Räuber zu besiegen“
    (Stanisław Lem, „Kyberiade“, Reise XXVIII)

    Wie es so bei dem Lem aus jener Phase war: es passt alles und nichts, und am Ende schmerzen die Grinsemuskeln umso mehr, je mehr der Leser mit dem Thema vertraut ist. Also bei mir nur so, bei vielen Mitschreibern hier endet es sicherlich mit einem Mega-Muskelkater.

    Eine kurze Zusammenfassung der Story steht in der Wikipedia, doch der gesamte Text ist unbedingt lesenswert…

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