Raumstationen sind Teil jeder vernünftigen Science-Fiction-Geschichte. Wir Menschen träumen anscheinend gerne davon, im Weltall zu leben. Und wir träumen diesen Traum schon seit langer Zeit. Schon lange bevor die ersten Raketen ins Weltall flogen, haben sich die Pioniere der Raumfahrt Gedanken über Raumstationen gemacht. Diese Visionen der Vergangenheit sind nie realisiert worden. Aber trotzdem enorm faszinierend.

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Transkription

Sternengeschichten Folge 201: Raumstationen – Die Fiktion der Vergangenheit

Schon lange bevor die erste Rakete von der Erde ins All flog, haben die Menschen vom All geträumt. Von den Möglichkeiten, den Weltraum zu erreichen und vor allem den Möglichkeiten für Menschen dort zu leben. Raumstationen gehörten daher von Anfang an zu den großen Visionen der Raumfahrtpioniere.

Das erste Mal tauchte eine Raumstation aber in einer Kurzgeschichte des amerikanischen Historikers und Pastors Edward Everett Hale auf. 1869 schrieb er eine Erzählung mit dem Titel „The Brick Moon“. Darin beschreibt er, wie die Menschen eine 60 Meter große Kugel aus Ziegensteinen bauen, die sie in eine Umlaufbahn um die Erde bringen wollen. Nicht als Raumstation, sondern als Hilfe um von der Erde aus besser navigieren zu können. Beim Start läuft aber einiges schief und die Kugel aus Ziegelstein wird mit einigen Menschen darauf ins All geschossen. Sie überleben dort und werden so ungewollt zu den Bewohnern einer Raumstation.

Hermann Potocniks Zeichnung seiner Raumstation (Bild: gemeinfrei)
Hermann Potocniks Zeichnung seiner Raumstation (Bild: gemeinfrei)

Dass man eine echte Raumstation nicht aus Ziegelsteinen bauen kann, war den Leuten aber schon damals klar. Zuerst ging es aber sowieso darum, überhaupt erst einmal von der Erde aus in den Weltraum zu kommen. Ebenfalls 1896 begann Konstantin Tsiolkovsky mit der Arbeit an seinen mathematischen Gleichungen mit denen sich das Prinzip des Weltraumfluges verstehen ließ. 1903 schließlich publizierte er sein Werk „Erforschung des Weltraums mittels Reaktionsapparaten“ in dem er nicht nur anhand seiner Gleichungen erklärte, wie man konkrete Raketen bauen konnte die es Menschen erlaubten ins All zu fliegen sondern auch schon darüber spekulierte, wie sie dort auf Raumstationen leben und die Ressourcen des Alls nutzen könnten.

Auch der zweite Pionier der Raumfahrt, Herman Oberth, hatte Ideen zur Besiedelung des Weltraums. 1929 erschien sein Buch „Wege zur Raumschifffahrt“ in dem er ebenfalls sehr ausführlich erklärt, wie man Raketen mit flüssigen Brennstoffen über die Atmosphäre hinaus ins All bringen kann. Im Buch finden sich außerdem Entwürfe für den Bau von Raumstationen. Oberth überlegte sich auch sehr ausführlich, was die Menschen dort zum Nutzen der Bewohner der Erde anstellen sollten: Sie könnten die Erde beobachten und Informationen über viele der – damals noch – unerforschten Ländern sammeln. Sie könnten Schiffe vor Eisbergen warnen. Sie könnten Daten zur Wettervorhersage sammeln. Die Raumstation würde als Zwischenstation und Materiallager für Flüge zu anderen Planeten dienen. Und man könnte dort mit großen Spiegeln Sonnenenergie sammeln und zur Erde leiten.

Wirklich ausführlich mit dem Bau einer Raumstation beschäftigte sich allerdings der österreichische Techniker Hermann Potocnik. Er wurde 1892 im heutigen Kroatien geboren und studierte zwischen 1910 und 1913 an der Technischen Militärakademie in Mödling bei Wien. Neben seiner Karriere als Ingenieur war er auch Soldat und nahm nach dem ersten Weltkrieg den Rang eines Oberleutnants ein. 1919 wurde er als Hauptmann wegen einer Erkrankung frühzeitig in den Ruhestand versetzt was ihn aber nicht daran hinderte, sich Gedanken über die Raumfahrt zu machen. Er studierte ein weiteres Mal an der Technischen Hochschule in Wien und veröffentlichte 1928 unter dem Pseudonym Hermann Noordung sein Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums – Der Raketenmotor“.

Darin beschäftigte er sich vor allem mit dem, was er einen „stehenden Satelliten“ nannte. Also ein künstlicher Himmelskörper, der sich von der Erde aus gesehen immer am selben Punkt des Himmels befindet. Das bedeutet, dass dieser Satellit sich genau so schnell um die Erde herum bewegen muss wie die sich um ihre eigene Achse dreht. Da die Umlaufgeschwindigkeit mit dem Abstand von der Erde immer größer wird und die lange bekannten Keplerschen Gesetze genau beschreiben, wie dieser Zusammenhang funktioniert ist es nicht schwer, die passende Distanz zu berechnen. In knapp 36.000 Kilometer Höhe findet man den Bereich, in dem so ein „stehender Satellit“ realisiert werden kann. Heute nennen wir solche Objekte „geostationäre Satelliten“ und es gibt jede Menge davon; vor allem im Bereich der Telekommunikation wo es ja besonders praktisch ist, wenn man Empfangsanlagen nicht ständig mit einem sich bewegenden Satellit mitbewegen muss sondern einfach ein einziges Mal fix auf einen bestimmten Punkt am Himmel ausrichten kann.

Sehr intensiv dachte Potocnik aber auch über Raumstationen nach. In seinem Buch schrieb er:

„Es wäre also sehr wohl denkbar, technische Einrichtungen zu schaffen, welche den Aufenthalt im leeren Weltraum trotz des Mangels aller Stoffe ermöglichten; aber auch das Fehlen der Schwere würde (zumindest in physikalischer Hinsicht, wahrscheinlich aber auch sonst) kein ausschlaggebendes Hindernis für die Abwicklung des Lebens bilden, wenn man den verschiedenen sich daraus ergebenden Merkwürdigkeiten (…) Rechnung trägt.“

Und er erklärt gleich, wie man das machen sollte:

„Da der gewichtslose Zustand jedenfalls mit erheblichen Unbequemlichkeiten verbunden wäre und sich bei sehr langer Andauer vielleicht auch als gesundheitsschädlich erweisen könnte, ist auf der Raumwarte für künstlichen Ersatz der Schwere gesorgt.“

Potocnik will die Fliehkraft benutzen um die fehlende Schwerkraft auszugleichen und ist zuversichtlich, dass das möglich ist:

„Dies zu bewerkstelligen, wäre im Grunde genommen sehr einfach: Man muss nur jene Gebäudeteile, in welchen Fliehkraft und damit Schwerezustand erzeugt werden soll, um ihren Massenmittelpunkt entsprechend rasch rotieren lassen. „

Die technische Realisierung ist allerdings dann doch ein wenig knifflig. Deswegen schlägt Potocnik vor, die Raumstation in drei Objekte zu unterteilen: Ein „Wohnrad“, das rotiert und dadurch für seine Bewohner eine künstliche Schwerkraft bereit stellt. Dazu kommen ein „Observatorium“ und ein „Maschinenhaus“ in denen Schwerelosigkeit herrscht und der sich Menschen nur kurzfristig für die jeweils nötige Arbeit aufhalten. Er berechnet und beschreibt detailliert, wie man seine dreiteilige Raumstation zu bauen hätte. Die Luftschleusen für den Ein- und Austritt in das Wohnrad müssten beispielsweise genau in dessen Mitte sein, denn dort herrscht ja immer noch Schwerelosigkeit und man könnte am einfachsten andocken. Wohnen würde man ganz außen und durchaus mit großem Komfort, wie Potocnik beschreibt:

„Es gibt da: Einzelzimmer, größere Schlafräume, Arbeits- und Studierzimmer, Speisesaal, Laboratorium, Werkstatt, Dunkelkammer usw., sowie die üblichen Nebenräume wie Küche, Badezimmer, Waschzimmer und dergleichen. Alles ist mit modernem Komfort ausgestattet; auch Kalt- und Warmwasserleitung fehlen nicht.“

Hermann Potocniks Zeichnung des "Maschinenhauses" seiner Raumstation (Bild: gemeinfrei)
Hermann Potocniks Zeichnung des „Maschinenhauses“ seiner Raumstation (Bild: gemeinfrei)

Auch das Observatorium und das Maschinenhaus zeichnet, beschreibt und berechnet Potocnik ausführlich. Energie für die Station soll ein riesiger Parabolspiegel direkt aus dem Sonnenlicht gewinnen.

In Wien konnte sich Potocniks Arbeit aber nicht durchsetzen, man nahm ihn nicht ernst und er starb 1929 im Alter von nur 36 Jahren an einer Lungenentzündung und in völliger Armut. Er erlebte die Anfänge der Raumfahrt nicht mehr und auch nicht die ersten Schritte auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Visionen. Aber ihm war durchaus klar, dass sie nicht einfach zu verwirklichen sind. Am Ende seines Buches schrieb er:

„Es wird um so eher gelingen je früher und in je großzügigerer und ernster, wissenschaftlicher Weise an die praktische Bearbeitung des Problems geschritten wird, wenn man sich auch keiner Täuschung hingeben darf über die Größe der dabei noch zu bewältigenden Schwierigkeiten.“

Trotz allem war Potocnik optimistisch. Und ich möchte mich in dieser Folge mit seinen letzten Worten aus seinem Buch verabschieden:

„Doch der Zweck der vorliegenden Betrachtungen ist auch nicht der, glaubhaft machen zu wollen, daß man schon morgen wird zu fremden Himmelskörpern reisen können. Es soll damit nur versucht sein zu zeigen, daß die Befahrung des Weltraums nicht mehr als etwas für den Menschen Unmögliches angesehen werden darf, sondern ein Problem darstellt, welches sehr wohl technisch gelöst werden kann und – ein Problem, das all die Hindernisse, die seiner endgültigen Bemeisterung auch noch im Wege stehen mögen, nur nichtig erscheinen lassen muß ob der überwältigenden Großartigkeit des dabei Erstrebten.“

6 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 201: Raumstationen – Die Fiktion der Vergangenheit“
  1. Sehr schöne Geschichte. Von Potočnik hatte ich noch nie gehört. Ich dachte immer, Arthur C. Clarke wäre der „Erfinder“ der geostationären Satelliten gewesen.
    Danke für den Link zum Originalbuch!

  2. Sehr schön vielen Dank!

    Ich bin ja von einem Haufen SciFi desillusioniert worden: anscheinend sind Roboter besser für den Weltenraum geeignet als Menschen.

    Aber ich liebe das Spiel Master of Orion 2 sowie die Bücher von Hamilton. Raumstationen mit künstlicher Schwerkraft sind Pflicht. Ich will eine für mich und eine für die Menschheit.

    Schönes Wochenende!

  3. Früher erfüllten mich die Ergebnisse der Weltraumforschung und Science Fiction Geschichten mit Raumstationen, Marskolonien und interstellaren Flügen mit Begeisterung. Inzwischen habe ich in Gesprächen zu Umwelt- und Klimaschutz so oft zu hören bekommen, dass das alles egal sei, weil wir irgendwann sowieso den Planeten verlassen werden, dass ich da eine dicke Trennlinie wahrnehme. Missionen wie Curiosity finde ich weiterhin ganz toll, aber die Leute, welche meinen es sei wünschenswert in Zukunft wie in einem U-Boot zu leben, abhängig von Technik und ohne die Möglichkeit jemals wieder Wind und Sonne auf der Haut zu spüren haben meiner Meinung nach genau so einen Knall, wie diejenigen, die meinen das wahre Leben beginne erst, wenn man seinen Geist auf einen Computer lädt und den Körper aufgibt. Mir erscheinen solche Visionen inzwischen gefährlich. Jedenfalls habe ich irgendwie den Spaß an solchen Geschichten verloren.

  4. Es gibt keinen Weg um die Erde zu evakuieren. Du kannst mit einer kleinen weltweiten Anstrengung hunderte ins All schicken, mit einer mittleren kannst du tausende ins All schicken, oder mit einer großen weltweiten Anstrengung auch zehntausende.

    Nicht Millionen. Nicht Milliarden. Der Weg ist versperrt.

    Sinkt der Preis für den Sprung in den Orbit um den Faktor 100, kannst du mit der großen weltweiten Anstrengung Millionen ins All schicken. Immer noch nicht Milliarden. Der Weg bleibt also auch längerfristig versperrt.

    Die Lösung für das Problem ist eine Waschmaschine und ein Staubsauger in jedem Haushalt plus ein Kita-System, daraus resultierende Gleichberechtigung von Männern und Frauen, plus die kostenlose oder sehr günstige Antibabypille. Also was wir in Europa schon haben, nur halt für die ganze Welt.

    Dann sinkt die Weltbevölkerung von ganz alleine und die Evakuierung wird unnötig. Außerdem ist das als Ziel auch viel erreichbarer und sympathischer.

    Aber das mit dem hochladen in den Computer finde ich logisch weil wir ja sowieso alle in einer Simulation leben. Den Unterschied würden wir also gar nicht merken. 🙂

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