Ob Italien bei der Fußballeuropameisterschaft Erster wird, muss sich noch zeigen. In der Astronomie hat ein Italiener aber schon 1801 als Erster etwas völlig Neues erreicht. Giuseppe Piazzi entdeckte einen neuen Himmelskörper. Nicht nur das – er fand sogar eine völlig neue Art von Himmelskörpern: Die Asteroiden. Und so wie im Fußball gab es auch damals gleich einmal Streit mit Deutschland…
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Transkription
Sternengeschichten Folge 186: Giuseppe Piazzi und der erste Asteroid
„Was für eine Geschichte, für die sich dieser unbesonnene Mann verantworten muss!“, schrieb der Königliche Astronom Nevil Maskelyne aus England im Sommer des Jahres 1801. Die „Geschichte“ war der erste Asteroid und der „unbesonnene Mann“ der Italiener Guiseppe Piazzi. Und Maskelynes Urteil vielleicht ein klein wenig ungerecht, wenn auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Denn Piazzi hatte tatsächlich einen großartigen Fund gemacht, den er aber fast wieder verloren hätte.
Gioacchino Giuseppe Maria Ubaldo Nicolò Piazzi wurde am 16. Juli 1746 in Ponte in Valtellina geboren, einem kleinen Dorf in der Lombardei, das heute in Norditalien, direkt an der Grenze zur Schweiz liegt. Seine große Entdeckung machte er allerdings am anderen Ende des Landes, auf der Sternwarte der Insel Sizilien.
Dazwischen lag eine für einen Astronomen eher untypische Ausbildung. Als zweitjüngstes Kind in einer Familie mit 10 Kindern tat Piazzi das, was junge Kinder großer Familien damals oft taten und wurde Priester. Er trat dem Mönchsorden der Theatiner bei, musste aber zwischendurch auch eine wissenschaftliche Ausbildung absolviert haben, denn er wurde von seinen Vorgesetzten beauftragt, Mathematik zu unterrichten. 1781 wurde er dann sogar zum Professor für Mathematik an der neugegründeten Universität von Palermo ernannt und 1787 Professor für Astronomie, obwohl er bis dahin höchstens ein engagierter Amateuerastronom war.
Das hielt Piazzi aber nicht davon ab, hervorragende Arbeit zu leisten. Er wurde mit der Gründung einer neuen Sternwarte in Palermo beauftragt und reiste dazu nach Paris und London, um dort nicht nur Kontakte mit den führenden Astronomen der damaligen Zeit zu knüpfen sondern auch Instrumente für die Sternwarte zu besorgen.
Zurück in Palermo begann er damit, die Positionen von Sternen zu vermessen und einen neuen Katalog zu erstellen, der 7646 Sternpositionen in bisher ungekannter Präzession enthielt. Während dieser Arbeit machte er auch die Entdeckung, für die er bis heute berühmt ist.
Am 1. Januar 1801 war er gerade dabei, ein paar Sterne im Sternbild Stier zu beobachten. Dabei fiel ihm ein schwach leuchtendes Objekt auf, dass dort eigentlich nichts zu suchen hatte. Zuerst hielt Piazzi es einfach für einen weiteren, bis jetzt noch nicht katalogisierten Stern. In der folgenden Nacht hatte sich seine Position allerdings ein wenig verändert; ebenso in den beiden kommenden Nächten. Piazzi war klar, dass es kein Stern sein konnte. Was es aber stattdessen war, war vorerst unklar.
Piazzi war vorsichtig und sprach öffentlich nur von der Entdeckung eines Kometen. Dass neben Sternen und Planeten auch immer wieder neue Kometen am Himmel auftauchten, war damals schon gut bekannt. Insgeheim war sich Piazzi allerdings sicher, dass es etwas anderes sein musste. Kometen erscheinen meistens als verschwommene, neblige Flecken und nicht als Lichtpunkte, wie das, was Piazzi da am Himmel sah. In einem Brief an seinen Freund den Astronomen Barnaba Oriani schrieb Piazzi daher auch:
„Ich habe zwar bekannt gegeben, dass dieser Stern ein Komet ist, aber da dort keine nebligen Eigenschaften zu sehen sind und seine Bewegung so langsam und gleichmäßig ist, kam mir der Gedanke, dass es etwas besseres als ein Komet sein könnte.“
Und tatsächlich WAR es etwas besseres als ein Komet. Besser sogar noch als das, was Piazzi vermutete, das es war. Er dachte, er hätte einen neuen Planet entdeckt. Dass so etwas möglich ist und im Sonnensystem tatsächlich mehr Himmelskörper vorhanden sind als die, die man immer schon kannte, hatte ein paar Jahre zuvor der englische Astronom Wilhelm Herschel demonstriert, als er völlig überraschend den Planeten Uranus entdeckte. Und Astronomen überall in Europa waren gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf der Suche nach einem weiteren Planeten, der sich zwischen den Bahnen des Mars und des Jupiters befinden sollte.
Motiviert wurde diese Suche durch die sogenannte „Titius-Bode-Reihe“, über die ich in Folge 86 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen habe. Man dachte damals, in den Abständen der Planeten von der Sonne eine mathematische Regelmäßigkeit entdeckt zu haben aus der folgte, dass sich genau zwischen Mars und Jupiter noch ein weiterer großer Himmelskörper befinden muss.
Man war so sehr davon überzeugt, dass man die erste große internationale wissenschaftliche Kooperation gründete, die „Himmelspolizey“. Der deutsch-österreichische Astronom Franz Xaver von Zach gründete diese Organisation im Jahr 1800 um gemeinsam mit Kollegen aus ganz Europa systematisch den Himmel nach dem vermuteten Planeten abzusuchen. Auf der Liste der beteiligten Wissenschaftler stand auch Piazzi – der aber nie eine offizielle Einladung von Zach erhielt, sich zu beteiligen und seine Arbeit in Palermo nur für sich allein durchführte.
Der „Komet“ den Piazzi entdeckte befand sich jedenfalls genau dort, wo von Zach und seine Kollegen den gesuchten Planeten vermuteten. Und als sie davon erfuhren, waren sie auch schnell bereit, das Objekt als „Planet“ zu bezeichnen – an den Komet glaubte da schon längst niemand. Die deutschen Astronomen hatten auch keine Hemmungen, schon über einen Namen für den neuen Planeten zu spekulieren. Von Zach wollte ihn „Hera“ nennen. Sein Kollege, Johann Bode, favorisierte den Namen „Juno“. Man einigte sich schließlich auf „Hera“ – dachte aber anscheinend nicht daran, auch nach der Meinung des Entdeckers zu fragen.
Piazzi war nicht sonderlich begeistert von den Aktivitäten der Deutschen und schrieb seinem Freund Oriani: „Wenn die Deutschen denken, sie hätten das Recht die Entdeckung eines anderen zu benennen, dann können sie meinen neuen Stern meinetwegen nennen wie sie wollen. Ich werde ihn immer Ceres nennen und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du und deine Kollegen das ebenfalls tun würden.“
Piazzi gab seiner Entdeckung den Namen „Ceres Ferdinandea“, nach der römisch-sizilianischen Erdgöttin Ceres und König Ferdinand dem IV von Neapel in Sizilien. Der Zusatz „Ferdinandea“ wurde aber ziemlich schnell weggelassen und der Name „Ceres“ setzte sich durch.
Zwei Probleme blieben allerdings noch: Was GENAU ist das nun wirklich für ein Himmelskörper? Und viel wichtiger: WO steckt das Ding eigentlich? Denn Piazzi beobachtete Ceres nur im Januar und Februar 1801. Danach wurde er krank und danach war er mit anderer Arbeit beschäftigt. Dann hatte sich Ceres schon so weit bewegt, dass er am Nachthimmel nicht mehr sichtbar war. Und die bis dahin gesammelten Daten waren eigentlich nicht gut genug, um seine Bahn so genau zu berechnen, um das Objekt wieder finden zu können, wenn es gegen Ende des Jahres wieder am Himmel auftauchen sollte.
Nicht nur gab es zu wenig Beobachtungsdaten, Piazzi hatte sich auch viel Zeit damit gelassen, die Daten mit seinen Kollegen zu teilen. Das war auch der Grund für die Beschwerde von Nevil Maskelyne. Da hatte man nun offensichtlich einen neuen Planeten entdeckt – aber die Chancen standen gut, dass man ihn nicht mehr wieder finden würde.
Zum Glück gab es Carl Friedrich Gauss! Dieser geniale Mathematiker hörte von den Problemen und entwickelte eine völlig neue Methode, um auch aus wenigen Beobachtungsdaten eine sehr genaue Umlaufbahn berechnen zu können (ich habe in Folge 118 der Sternengeschichten mehr darüber erzählt). Damit war es tatsächlich möglich, Ceres wieder zu finden. Und nicht nur das: Im März 1802 entdeckte der deutsche Astronom Heinrich Olbers einen zweiten Planeten zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter. Der wurde Pallas genannt und man fing an darüber zu diskutieren, ob es wirklich ein Planet war. Denn eigentlich sollte da ja nur einer sein; jetzt hatte man zwei. Und noch dazu zwei vergleichsweise kleine Planeten.
Im Mai 1802 hielt William Herschel einen Vortrag vor seinen Wissenschaftskollegen in London und schlug dabei vor, dass es sich bei Ceres und Pallas um eine völlig neue Art von Himmelskörper handeln könnte. Keine Planeten, keine Kometen. Sondern kleine Objekte, die im Teleskop so aussehen wie Sterne, aber keine sind. Als Name schlug er „Asteroid“ vor, was so viel bedeutet wie „sternähnlich“.
Bis sich dieser Name durchsetze, dauerte es allerdings. Bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus wurden Ceres, Pallas und die weiteren kleinen Himmelskörper die man in Folge zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter fand, als „Planeten“ bezeichnet. Ein klein wenig kann man das auch verstehen; die Astronomen die diese Himmelskörper entdeckten, wollten sicherlich alle gerne die Entdecker von echten Planeten sein und nicht von irgendwelchen Asteroiden, bei denen noch niemand richtig wusste, was das sein sollte. Und Herschel hatte leicht reden; der hatte ja immerhin schon zweifelsfrei einen Planeten entdeckt.
Aber irgendwann wurde dann klar, dass es sich bei den kleinen Himmelskörpern nicht um Planeten handelt. Der Name „Asteroid“ setzte sich durch und heute wissen wir, dass es davon Milliarden gibt, die überall im Sonnensystem verteilt sind. Ceres, der erste Asteroid der entdeckt wurde, ist mit einem Durchmesser von 900 Kilometern der größte zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter. Anderswo, in den äußeren Bereichen des Sonnensystems gibt es aber noch mehr und noch größere Asteroiden.
Heute wissen wir von der fundamentalen Rolle, die die Asteroiden bei der Entstehung der Planeten gespielt haben. Wir wissen, dass die Asteroiden das ursprüngliche Baumaterial sind, aus dem die Planeten erst entstehen konnten. Wir wissen, dass die Asteroiden Wasser und komplexe Moleküle auf die Erde gebracht haben und vermutlich eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Lebens auf unserem Planeten gespielt haben. Wir wissen, dass diese kleinen Himmelskörper enorm wichtig für unser Verständnis des Universums sind und haben einige von ihnen mit Raumsonden besucht und aus der Nähe beobachtet. Unter anderem auch Ceres. Der erste bekannte Asteroid wurde im Jahr 2015 von der Raumsonde Dawn erreicht und genau analyisiert. Wenn Giuseppe Piazzi die beeindruckenden Bilder „seines“ Himmelskörpers noch sehen hätte können, wäre er mit Sicherheit zufrieden gewesen und hätte seine Vermutung bestätigt gesehen: Er hat auf jeden Fall etwas besseres als einen Kometen entdeckt!
Toller Spannungsbogen… erst später erfährt man, dass es um Ceres geht. Wie ein Krimi!
@Thomas N.
Ohne deine Begeisterung schmälern zu wollen — es geht sicherlich auch um Ceres.
Meiner Ansicht nach geht es aber zuerst um die von Menschen gemachte Entwicklung des Begriffs eines „Asteroiden“, der durch die Entdeckung eingeleitet wurde. Ceres ist „nur“ das auslösende Objekt, der damit neue Asteroiden-Begriff ist aber eine Veränderung in der damaligen Astronomie-Landschaft und damit im Bewusstsein der jenerzeitigen Menschen.
Meiner Erfahrung nach geht es Florian auch generell immer wieder um die Menschen, die mit ihrer eigenen Entwicklungsgeschichte die Entwicklung der Astonomie begleitet und fortgeschrieben haben. Siehe auch Florians immer wieder aufgegriffene Serie um im weitesten Sinne von Frauen in der Astronomie (oft vor dem Hintergrund früherer Berufseinschränungen).
Ein sehr schöner Abriss über einen Astronomen und das von ihm entdeckte astronomische Phänomen. Vielen Dank!
@Braunschweiger: Da hast du natürlich Recht, ich habe die Formulierung etwas unglücklich gewählt. Einfügen von „bei dem im Artikel erwähnten Objekt“ sollte es wieder gerade rücken.