Die angebliche Entdeckung eines neuen Planeten im äußeren Sonnensystem hat in den letzten Tagen für viel Aufsehen gesorgt. Dabei sind die Menschen schon seit mehr als 200 Jahren damit beschäftigt, neue Planeten im äußeren Sonnensystem zu vermuten, zu suchen und auch zu finden. In einer kurzen vierteiligen Artikel-Serie möchte ich diese lange Geschichte ein wenig ausführlicher darstellen um am Ende die aktuellen Ergebnisse vernünftig darstellen und einordnen zu können.
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Die Geschichte der Suche nach unbekannten Planeten im äußeren Sonnensystem reicht weiter zurück, als man vielleicht denken mag. Sie beginnt am 13. März 1781. Da hat der Astronom Wilhelm Herschel im englischen Bath den Himmel beobachtet. Er wollte die Position der Sterne vermessen um so eventuell Hinweise auf die Bewegung der Erde um die Sonne zu finden (Man wusste zwar schon, dass sich die Erde um die Sonne bewegt, aber den daraus resultierenden Parallaxen-Effekt hatte man noch nicht gemessen). Bei dieser Suche entdeckte Herschel einen Lichtpunkt, der auf seinen Sternenkarten nicht verzeichnet war. Vier Tage später war der Lichtpunkt immer noch da; hatte sich in der Zwischenzeit aber bewegt. Herschel schloß daraus, dass er einen neuen Kometen entdeckt hatte.
Ein paar Wochen später war allerdings klar: Es war kein Komet, den Herschel da gefunden hatte, sondern ein großer Himmelskörper auf einer fast kreisförmigen Umlaufbahn außerhalb der Bahn des Saturns. Das war eine große Sensation, denn man ging damals davon aus, dass die mit freiem Auge sichtbaren Planeten – Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn – schon das komplette Sonnensystem ausmachten. Mit Zuwachs rechnete niemand. Und trotzdem war da auf einmal ein neuer Planet, der (nach einigen recht interessanten Diskussionen) den Namen „Uranus“ bekam.
Uranus wurde gefunden, obwohl niemand nach ihm gesucht hat. Aber seine Entdeckung markierte den Beginn der gezielten Suche nach weiteren Planeten. Uranus ist kein „Planet X“ aber dessen Geschichte beginnt hier.
Denn als die Astronomen den neuen Planeten beobachteten, stellten sie fest, dass seine Bahn nicht den theoretischen Vorhersagen folgte. Das Gravitationsgesetz von Isaac Newton erlaubt es ja, die gegenseitige Beeinflussung von Sonne und allen Planeten zu berechnen und daraus zukünftige Positionen abzuleiten. Normalerweise klappte das recht gut – die anderen Planeten bewegten sich genau so, wie die Berechnungen es vorhersagten. Nur bei Uranus gab es ständig Abweichungen. Zuerst dachte man noch, dass Ungenauigkeiten bei der Beobachtung der Grund dafür wären, aber auch genauere Daten führten nicht dazu, dass die Abweichungen verschwanden.
Die meisten Astronomen der damaligen Zeit waren schließlich überzeugt, dass ein weiterer unbekannter Planet die Ursache sein muss. Wenn sich außerhalb der Bahn des Uranus noch ein großer Himmelskörper befindet, dann beeinflusst dieser ebenfalls die Bewegung der anderen Planeten. Und vor allem die Bewegung des Uranus. Da man diesen hypothetischen Himmelskörper aber nicht kennt, kann er auch nicht in den Berechnungen berücksichtigt werden und man erhält falsche Ergebnisse.
Dieser „Planet X“ beschäftigte die Astronomen natürlich sehr. Der Engländer John Couch Adams und der Franzose Urbain LeVerrier probierten anhand der vorhandenen Beobachtungenzu berechnen, welche Eigenschaften „Planet X“ haben müsste um genau die Abweichungen bei Uranus zu produzieren, die man sehen konnte.
Die Geschichte dieser Suche ist Stoff für ein ganzes Buch (das auch geschrieben wurde: Es heißt „The Neptune File“*, ist auf deutsch unter „Die Akte Neptun“* erhältlich und sehr lesenswert). Ein bisschen was davon habe ich schon in einem früheren Blogartikel erzählt. Am Ende stand jedenfalls einer der Höhepunkte der Astronomie: Die Entdeckung eines neuen Planeten, und zwar mit Ansage!
Am 23. September 1846 richtete der deutsche Astronom Johann Gottfried Galle sein Teleskop genau an die Stelle des Himmels die Urbain LeVerrier berechnet hatte und fand dort einen Planeten. Er bekam den Namen „Neptun“ und eigentlich könnte die Geschichte des Planet X nun zu Ende sein. Er wurde vorhergesagt, gesucht und gefunden.
Aber als die Astronomen in den nächsten Jahrzehnten Uranus und Neptun beobachteten, stellten sie fest, dass immer noch nicht alles so lief, wie es sollte. Auch bei Berücksichtigung des neuen Himmelskörpers gab es weiterhin Abweichungen zwischen Theorie und Beobachtung. Da musste noch etwas sein; ein weiterer „Planet X“ dessen Einfluss nicht berücksichtigt worden war. Also ging die Suche weiter!
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand sie hauptsächlich in den USA statt und zwar in der Sternwarte, die der reiche Geschäftsmann Percival Lowell gegründet hatte. Er wollte den fehlenden, neunten Planeten unseres Sonnensystems unbedingt finden und er war es auch, der ihm den Namen „Planet X“ gegeben hatte (entgegen der populären Meinung stand das „X“ hier nie für die Zahl 10 sondern immer – so wie in der Mathematik – ganz allgemein für etwas Unbekanntes). Und tatsächlich war man erfolgreich! Clyde Tombaugh, der nach Lowells Tod dessen Arbeit weiterführte, entdeckte am 18. Februar 1930 einen unbekannten Himmelskörper der weiter entfernt seine Runden um die Sonne als alle anderen.
Er bekam den Namen „Pluto“ und wurde sofort als neuer Planet in die Familie des Sonnensystems aufgenommen. Eine vielleicht etwas überstürzte Entscheidung, denn schnell stellte sich heraus, das Pluto viel, viel kleiner war als die bisherigen Planeten. Eigentlich zu klein um die Bahnen von Uranus und Neptun ausreichend beeinflussen zu können. Pluto konnte nicht der lang gesuchte „Planet X“ sein – und im Jahr 1989 stellte sich dann heraus, dass das auch gar nicht nötig war.
Da flog die Raumsonde Voyager 2 an Neptun vorbei. Dabei erhielt man nicht nur das erste Mal detaillierte Bilder des Planeten sondern konnte auch dessen Masse so genau bestimmen wie nie zuvor. Der Astronom Myles Standish nutze diese neue Masse um alles nochmal von Anfang an durchzurechnen. Und stellte fest: Die Abweichungen in der Bahn des Uranus verschwinden, wenn man in den Rechnungen die neu bestimmte Masse des Neptuns einsetzte!
Es braucht also gar keinen Planet X! Das Sonnensystem, so wie es damals bekannt war, funktioniert wunderbar. Die beobachtete Bewegung aller Himmelskörper stimmt wunderbar mit den Berechnungen überein. Die Suche nach einem „Planet X“ war gar nicht nötig gewesen.
Im Jahr 1989 schien die Sache mit den hypothetischen Planeten im äußeren Sonnensystem also zur Zufriedenheit aller Astronomen erledigt zu sein. Aber nur drei Jahre später gab es eine neue Entdeckung, die wieder alles durcheinander brachte… Dazu dann aber mehr in der nächsten Folge der Serie.
Eines wundert mich jetzt ein wenig. Uranus und Neptun sind ja recht große Brocken, deren Einfluss auf die Bahnen der anderen Planeten sicher erheblich ist. Trotzdem wurde Uranus zufällig entdeckt, und nicht, weil sich die Bahnen der anderen Planeten seltsam verhalten. Konnte man die Bahnen der bereits bekannten Planeten damals noch nicht genügend genau vermessen, oder warum hat man die durch U+N verursachten Störungen nicht bemerkt?
Sehr spannender Stoff und wie immer so verständlich geschrieben, dass man diesen Text problemlos auch jenen empfehlen kann, die sich bisher nicht mit Astronomie beschäftigt haben. Danke dafür!
Ich freue mich schon auf die nächsten Teile dieser Serie.
Uranus ist mehr als doppelt so weit von der Sonne entfernt wie Saturn, wiegt dabei aber nicht einmal ein sechstel dessen. Im Vergleich dazu ist Neptun gerade mal etwas mehr als eineinhalb mal so weit von der Sonne entfernt wie Uranus, wiegt aber sogar knapp ein fünftel mehr (laut Wikipedia). Ich denke mal, dass Saturn und erst recht Jupiter relativ unbeeindruckt von Uranus und Neptun sind und erst sehr genaue Messungen da überhaupt den Einfluss zeigen können. Bei Uranus und Neptun ist die gegenseitige Störrung deutlich größer. Für die inneren Planeten sind die beiden erst recht viel zu weit entfernt.
@schlappohr: Ich könnte mir vorstellen, dass Uranus + Neptun zu weit entfernt sind und nicht die rechte Masse haben, um messbare Einflüsse (mit damaligen Messverfahren) auf die bisher bekannten sechs Planeten zu haben
@schlappohr: Wurde ja schon gesagt, aber: Uranus und Neptun sind so weit weg, so langsam unterwegs und vergleichsweise massearm. Zumindest innerhalb der Messgenauigkeit des 18/19. Jahrhunderts ist da nix, was auffallen hätte können.
(Wenn ich zB früher die Dynamik der Planeten/Asteroiden im inneren Sonnensystem im Computermodell untersucht habe, hab ich U+N immer ignoriert, weil deren Inklusion am Ergebnis nix geändert hätte…)
Der Vorbeiflug von Voyager 2 am Uranus fand übrigens gestern vor 30 Jahren statt.
Ok, danke. Irgendwie verliere ich immer das Gefühl für die gewaltigen Entfernungen selbst innerhalb des Sonnensystems. Aber das U+N tatsächlich vernachlässigbar sind, hätte ich jetzt nicht gedacht.
„Am 23. September 1846 richtete der deutsche Astronom Johann Gottfried Galle sein Teleskop genau an die Stelle des Himmels die Urbain LeVerrier berechnet hatte und fand dort einen Planeten.“
Konnte man mathematisch tatsächlich eine konkrete Stelle bestimmen an der sich Neptun befindet, oder hat man eher die Bahn bestimmt und entlang dieser Linie gesucht?
@Ollie
Leverrier und Adams hatten jeweils zwei bestimmte, nicht ganz übereinstimmende Orte berechnet, und Neptun wurde zwischen den beiden, etwas südlich ihrer Verbindungslinie gefunden.
Alles sehr schön dargelegt auf dieser Seite (auch, dass Uranus den Neptun zur fraglichen Zeit überholte und ihm daher relativ nahe war):
https://faculty.humanities.uci.edu/bjbecker/ExploringtheCosmos/lecture12.html
(Die genannten Positionen finden sich ganz unten auf der letzten Sternkarte, oberhalb der Karikaturen).
Zur Entdeckung Plutos: Im Gegensatz zur Entdeckung von Neptun kann es nicht die Untersuchung einer vorausberechneten Position („Entdeckung mit Ansage“) gewesen sein, oder? Hat man das eigentlich versucht, so wie es ja auch schon bei Neptun geklappt hatte? Da wäre man ja nicht fündig geworden, weil man ja mit falschen Massen gerechnet hätte, oder?
@Thomas
Lowell hat zwei Positionen berechnet und Pluto wurde sechs Grad entfernt von einer davon gefunden. Tombaugh hat bei seiner Suche den Berechnungen aber wohl nicht ganz getraut und alles abgesucht. Pluto hatte allerdings nichts mit dem von Lowell postulierten Planeten gemein, weswegen man eher sagen kann, dass das Zufall war Pluto dort zu finden.
https://en.wikipedia.org/wiki/Planets_beyond_Neptune
Weils so schön ist:
https://de.wikipedia.org/wiki/Uranus_%28Planet%29#/media/File:Uranus_Final_Image.jpg
Ist Pluto nicht die Planetenwürde aberkannt worden und warum überhaupt?
@PadredeRavens: Weil Pluto nie als Planet bezeichnet werden hätte sollen. War ein Fehler, der korrigiert wurde (im Artikel sind auch ausführlichere Texte dazu verlinkt).
Stimmt genau, und das aus dem selben Grund, wieso Ceres den Planetenstatus verloren hatte: In seiner Nähe kreisen zu viele andere Objekte von vergleichbarer Größe. Im Falle von Pluto wäre etwa Eris zu nennen, aber auch Makemake und Haumea, plus eine Reihe kleinerer Himmelskörper. Diese fünf Objekte aus dem Kuipergürtel (Ausnahme: Ceres, der sich im Asteroidengürtel befindet) haben den neu geschaffenen Status „Zwergplanet“ erhalten.
[…] über die lange Geschichte der Suche nach unbekannten Planeten im Sonnensystem berichtet. Über die Anfänge im 18. und 19. Jahrhundert und die konkreten Erfolge der damaligen Astronomen; über die Verwirrungen gegen Ende des 20. […]
[…] Ich habe damals eine ausführliche Artikelserie über diesen “Planet 9” geschrieben (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4). Das Problem an der Sache ist die Bestätigung. So ein Planet, sofern es […]
[…] hat es nicht einfach. Als man ihn 1930 entdeckt hat, war man eigentlich auf der Suche nach einem ganz anderen (und viel größeren) Himmelskörper. Dass Pluto nicht der gesuchte Planet war, kann man ihm nicht anlasten. Auch nicht, dass man bald […]