Man kann sich nicht vorstellen, wie groß unser Universum ist. Man kann es wirklich nicht. Wir scheitern schon daran, die Entfernungen zwischen den Planeten verstehen zu können und hier besteht ja zumindest noch die Chance, dass Menschen diese Entfernungen irgendwann einmal selbst zurück legen. Aber der Kosmos reicht ja nicht nur von hier bis zu Mars. Dahinter kommen weitere Planeten. Und dann folgen all die fernen Sterne unserer Milchstraßen-Galaxie. Und dann all die anderen Galaxien, die gemeinsam mit ihr einen großen Galaxienhaufen bilden. Und dann all die anderen Galaxienhaufen, die selbst wiederum aus tausenden Galaxien mit Milliarden Sternen und Milliarden Planeten bestehen. Und selbst diese Galaxienhaufen finden sich zu noch größeren Strukturen zusammen. Wie gesagt: Man kann es sich nicht vorstellen. Aber man kann zumindest probieren, es zu beschreiben und unsere Position im Weltraum zu verstehen. Astronomen aus den USA, Frankreich und Israel haben das probiert und dabei eine neue Superstruktur im Universum identifiziert: Den Laniakea-Superhaufen („The Laniakea supercluster of galaxies“)

Die Geografie des Universums ist im Prinzip nicht anders als die Geografie auf der Erde: Man schaut nach, was wo ist und zeichnet eine Karte. Aber im Weltall ist das alles in klein wenig komplizierter. Denn wir sehen nicht unbedingt immer alles, was da ist. Zum Beispiel die dunkle Materie, die sich überall zwischen den Galaxien befindet und von der wir nur die gravitative Wechselwirkung registrieren, sie aber nicht sehen können. Und dann bewegt sich auch noch alles ständig! Das All expandiert und nimmt dabei die Galaxien und Galaxienhaufen mit sich. Da herauszufinden, was wo ist und was zusammengehört und was nicht, ist eine knifflige Aufgabe.

Brent Tully von der Universität Hawaii und seine Kollegen haben sich dafür eine neue Technik ausgedacht. Anstatt einfach nur die Positionen der fernen Galaxien aufzuzeichnen, haben sie die sogenannte Pekuliargeschwindigkeit bestimmt. Das ist im wesentlichen nichts anderes als die Geschwindigkeit, mit der sich eine Galaxie bewegt, nachdem man die durch die Expansion des Alls verursachte Geschwindigkeit abgezogen hat. Es ist die Bewegung, die von den Anziehungskräften der Galaxien (und der dunklen Materie) in der Umgebung der Galaxien verursacht wird.

Dieses Video zeigt, wie die Technik funktioniert:

Und hier gibt es das ganze noch einmal mit ein bisschen mehr technischen Details:

Laniakea Supercluster from Daniel Pomarède on Vimeo.

Aus einem Katalog von etwa 8000 Galaxien, die mit Radioteleskopen in unserer Ecke des Universums beobachtet wurden, haben die Wissenschaftler ihre Pekuliargeschwindigkeiten bestimmt. Das hat es Tully und seinen Kollegen erlaubt, herauszufinden, wie die ganzen Sternensysteme tatsächlich zusammenhängen. Sie haben für ihre Gruppierungen nicht die reine Position der Galaxien benutzt, sondern die Pekuliarbewegung. Simpel gesagt: Alles was sich in die gleiche Richtung bewegt, gehört zusammen. Und nach dieser Analyse ist unsere Milchstraße Teil einer großen Gruppe von Galaxien, die ungefähr 500 Millionen Lichtjahre durchmisst. Diese Region enthält eine Masse von etwa 100 Billiarden Sonnenmassen. Die Wissenschaftler haben sie Laniakea genannt, was auf hawaiianisch „unermesslicher Himmel“ bedeutet.

Man kann sich das Ganze ein wenig so vorstellen wie eine Wasserscheide. Das ist die Grenze, die das Einzugsgebiet von abfließenden Wassermaßen auf der Erde markiert. Alles Wasser, dass sich zum Beispiel auf der östlichen Seite der Nordamerikanischen Kontinentalen Wasserscheide befindet, fließt früher oder später in den Atlantik; alles auf der westlichen Seite in den Pazifik. Bei Laniakea ist es genau so: Alle Galaxien auf der einen Seite der Grenzlinie bewegen sich auf das Zentrum von Laniakea zu; die anderen davon weg.

Ich glaube ich kann mein Haus sehen! (Tully et al, 2014)
Ich glaube ich kann mein Haus sehen! (Tully et al, 2014)

Diese Art der Galaxiengruppierung hat den Vorteil, dass hier auch der Einfluss von Regionen berücksichtigt wird, die man bisher noch nicht beobachtet hat. Die Bewegung der Galaxien wird ja von Allem beeinflusst, was da draußen im All ist; egal ob wir es sehen können oder nicht. Nach den bisherigen Definitionen ist die Milchstraße Teil des Lokalen Gruppe, einem Galaxienhaufen, der von Milchstraße und Andromedagalaxie dominiert wird und noch ein paar Dutzend kleinere Galaxien enthält. Die Lokale Gruppe wiederum gehört zum Virgo-Haufen, der knapp 2000 Galaxien enthält und 9 Millionen Lichtjahre durchmisst. Diese große Ansammlung zusammen mit etwa 200 anderen Galaxienhaufen Teil des Virgo-Superhaufens, der einen Durchmesser von 200 Millionen Lichtjahren hat. Der Virgo-Superhaufen selbst wäre aber wieder nur ein kleiner Teil der neuen Laniakea-Gruppe…

Ob sich die neue, dynamische Definition eines Superhaufens wie sie von Tully und seinen Kollegen vorgeschlagen worden ist, durchsetzen wird, muss sich erst noch zeigen. Gayoung Chon vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching ist zum Beispiel der Meinung, ein Superhaufen müsse als Gruppe von Galaxienhaufen definiert werden, die irgendwann in ferner Zukunft alle zusammen eine einzige Riesengruppe aus Sternen bilden. Bei Laniakea ist das aber vermutlich nicht der Fall, da sich die Galaxien dort zwar alle in die gleiche Richtung bewegen aber nicht unbedingt auch alle verschmelzen werden.

Aber es spricht ja auch nichts dagegen, mehrere Definitionen zu verwenden. Es kommt halt immer darauf an, was man untersuchen will. So oder so ist es ein faszinierendes Stück Astronomie. Wir können uns zwar immer noch nicht vorstellen, was es bedeutet, Teil einer Gruppe von Galaxien zu sein, die 500 Millionen Lichtjahre groß und 100 Billiarden Sonnenmassen schwer ist. Aber immerhin können wir nun sagen, dass wir zum „unermesslichen Himmel“ gehören und das ist doch auch sehr schön!

28 Gedanken zu „Neuer galaktischer Superhaufen identifiziert: Unser Zuhause heißt Laniakea!“
  1. Danke, für den tollen und verständlichen Artikel – ich habe gestern schon darüber gelesen, aber einiges nicht ganz so verstanden (ok, ich bin bei den astronomischen fachvokabeln nicht wirklich sattelfest), aber dein artikel hat mir das von gestern klarer gemacht – danke! überhaupt danke für deine arbeit!

  2. @Gerry, ich glaube auch das ist ein Flüchtigkeitsfehler. Der Pazifik liegt natürlich im Westen und der Atlantik im Osten.

    Was mich noch interessieren würde, es gibt ja noch mehr Forscher die an so einer Übersicht arbeiten. Es gibt ja das nette Video „cosmography of the local universe“:
    https://www.youtube.com/watch?v=WCHi4hioFEI
    Ist da Laniakea auch schon mit drauf, aber diese Forscher haben die „Gravitations-Wasserscheide“ einfach nur nicht richtig identifiziert?

  3. Von mir an dieser Stelle auch ein Danke für den schönen Artikel.
    Ich finde ja, dass die Visualisierung der Galaxienhaufen in dem Video Ähnlichkeiten mit Nervenbahnen hat.

  4. Eine Frage hab ich noch: Stichworte Higgs-Partikel und Ausdehnung des Universums.

    Soweit ich es verstanden habe, ist das Higgs-Boson nicht irgenwo in einem Atomkern zu Hause, sondern es baut eine „Kristallstruktur“ im leeren Raume auf. Wenn nun Teilchen da durchfliegen, erfahren sie ihre Masse.

    Falls diese Interpretation richtig ist, dann die Frage: wenn der Raum sich ausdehnt, wird der „Higgskristall“ dann immer weitmaschiger oder kommen außen immer mehr Higgskristallchen dazugeklebt?

    Kann man diese Frage verstehen?

    Danke 🙂

    1. @Mr. MIr: „Soweit ich es verstanden habe, ist das Higgs-Boson nicht irgenwo in einem Atomkern zu Hause, sondern es baut eine “Kristallstruktur” im leeren Raume auf. Wenn nun Teilchen da durchfliegen, erfahren sie ihre Masse. „

      Nein. Es gibt ein Higgs-Feld. So wie ein Magnetfeld oder ein elektrisches Feld. Das ist überall. Und wenn Teilchen mit dem Feld wechselwirken, dann führt das am Ende dazu, dass sie ne Masse haben. Das Higgs-Teilchen ist der angeregte Zustand dieses Feldes. Simpel gesagt: Steck genug Energie ins Higgs-Feld rein und es ploppt ein Higgs-Teilchen raus.

  5. @Mr. MIR

    Soweit ich das verstanden habe:

    Das Higgs-Boson ist nur das Austausch-Teilchen des Higgs-Felds und ist daher normalerweise virtuell (wie die virtuellen Photonen, die die elektromagnetische Strahlung vermitteln). Virtuelle Teilchen entstehen aus dem Nichts und verschwinden wieder zu nichts.

    Das Higgs-Feld wiederum ist eine Eigenschaft des Vakuums. Wenn durch die Ausdehnung des Universums Raum dazu kommt, dann hat dieser auch das allgegenwärtige Higgs-Feld an Bord. Das wird also nicht „verdünnt“ und es werden auch nicht weniger Higgs-Teilchen. Sonst hätte sich ja die Masse im All über die Jahrmilliarden verändert, mit fatalen Folgen z.B. für die Helligkeit der Sonne (das Gewicht der Sonnenmasse bestimmt den Druck und damit ganz empfindlich die Fusionsrate in ihrem Zentrum).

  6. Heißt das, daß die Expansion des Universums in dem ganzen Laniakea-Super­superhaufen unterdrückt ist und nur auf noch größeren Skalen eine Rolle spielt?

    1. @Chemiker: Ne, es geht nur darum, dass man die Bewegung, durch die Expansion verursacht wird, zum Zweck der Klassifizierung rausgerechnet und nur die restliche Eigenbewegung verwendet hat.

  7. „…ein Superhaufen müsse als Gruppe von Galaxienhaufen definiert werden, die irgendwann in ferner Zukunft alle zusammen eine einzige Riesengruppe aus Sternen bilden.“
    Dann gibt es wohl gar keine Superhaufen. Denn wenn man die beschleunigte Expansion berücksichtigt ist wohl kein Superhaufen gravitativ gebunden und werden alle auseinandergerissen. Dann sind die größten gebundenen Strukturen die Galaxienhaufen.

    Die lokale Gruppe gehört m.W. nicht zum Virgo-Haufen sondern nur zum Virgo-Superhaufen. Die geschätzte Masse des Virgo-Superhaufens ist um den Faktor 4-5 zu klein, als dass die lokale Gruppe daran gebunden sein könnte. Vielleicht bleiben wenigstens die dichteren Teile der Superhaufen zusammen.

    Die lokale Gruppe ist wohl die größte gebundene Struktur, der wir angehören. Alles was heute weiter als ca. 1,5 Mpc von dem Zentrum der lokalen Gruppe entfernt ist (und sich nicht nähert oder nichtgravitativ beschleunigt) wird sich beschleunigt immer weiter entfernen.

  8. Und jetzt die unvermeidbare Frage, was ist noch größer als die Supercluster? Was kommt nach Laniakea? Das ist schon sehr faszinierend alles. Ich fand übrigens das erste Video auch sehr verständlich und die oben angesprochene Ähnlichkeit mit Nervenbahnen ist mir auch in den Sinn gekommen.

  9. Lieber FF!

    Danke! Also, mit E- und M- Feldern kenne ich mich aus. Man misst sie in Vektoren mit den Einheiten Volt/Meter bzw. Ampere/Meter. In welcher SI-Einheit misst man das Higgs Feld? Ist es vektorwertig oder skalar? Danke:)

  10. @Mr. MIR:
    Das Feld ist skalar. Das Higgs-Boson ist schließlich ein Skalarboson und die Ruhemasse von Elementarteilchen unabhängig von einer Richtung.

    @Florian:
    In welcher SI-Einheit man das Higgs-Feld misst, würde mich auch interessieren.

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