Der Sternhaufen der Plejaden gehört zu den schönsten Anblicken am Nachthimmel. Das „Siebengestirn“, dass tatsächlich aber aus etwa 1000 Sternen besteht, hat in der Vergangenheit nicht nur jede Menge Mythen inspiriert, sondern ist auch aus wissenschaftlicher Sicht äußerst interessant. Die Sterne des Haufens sind alle noch recht jung und erst ungefähr 100 Millionen Jahre alt. Wenn man untersuchen will, wie Sterne entstehen und sich entwickeln, dann sind die Plejaden dafür ein ziemlich guter Ort. Denn der Haufen ist vergleichsweise nahe an der Erde. Aber das ist genau das große Problem: Man weiß nicht, wie weit die Plejaden tatsächlich entfernt sind.

Es gibt viele Methoden, um die Entfernung von Himmelskörpern zu bestimmen (ich habe das hier genauer erklärt). Manche davon funktionieren indirekt; manche sind aber auch direkte Messungen. Im Idealfall sollten die Ergebnisse aller Methoden aber ungefähr übereinstimmen und das ist normalerweise auch so. Nur bei den Plejaden nicht…

Dieses Diagramm zeigt eine Übersicht über die bisherigen Entfernungsmessungen:

Bild: Melis et al, 2014
Bild: Melis et al, 2014

Man sieht die verschiedenen Methoden und die damit gewonnenen Ergebnisse; inklusive Fehlergrenzen. Im großen und ganzen passt das alles recht gut zusammen und ergibt eine Entfernung von etwa 136 Parsec (444 Lichtjahre). Wenn da nicht die Entfernungsmessung des Hipparcos-Satelliten wäre… Dessen in blau eingezeichneten Messungen liegen deutlich außerhalb dieses Bereichs und geben eine Entfernung von etwa 120 Parsec an und auch innerhalb der Fehlergrenzen gibt es keine Übereinstimmung mit den anderen Daten.

Hipparcos war jetzt aber nicht einfach nur irgendein Satellit. Es war die bis jetzt genaueste, umfassendste und größte Sternvermessung aller Zeiten (ich habe ihre Geschichte hier erzählt). Der Satellit hat die Positionen von knapp einer Million Sterne gemessen und daraus ihre Entfernungen bestimmt. Das geschah mit Hilfe der Parallaxen-Methode: Wenn sich die Erde im Laufe eines Jahres um die Sonne bewegt, blickt sie von unterschiedlichen Positionen aus unterschiedlichen Winkeln auf die fernen Sterne. Die scheinen sich dann vor den Hintergrundsternen leicht zu verschieben und je näher sie sind, desto größer ist die Verschiebung. Mit der Messung der Parallaxe kann man die Entfernung direkt und sehr genau messen.

Trotzdem passte der Abstand der Plejaden nicht zu den anderen Messungen. Und das war nicht nur an sich recht ärgerlich. Vom Abstand hängt in der Astronomie quasi alles ab: Wenn wir mehr über die Eigenschaften eines Sterns erfahren wollen; wissen wollen, wie alt er ist; wie hell er leuchtet; wie er zusammengesetzt ist; wie heiß er ist; kurz gesagt: Wenn wir wissen wollen, wie ein Stern funktioniert, dann müssen wir zuerst wissen, wie weit er weg ist. Nur dann können wir seine Helligkeit korrekt interpretieren und daraus die restlichen Informationen ableiten.

Die Plejaden (Bild: NASA, ESA and AURA/Caltech)
Die Plejaden (Bild: NASA, ESA and AURA/Caltech)

Wären die Hipparcos-Messungen tatsächlich korrekt, dann passen sie nicht zu den Vorstellungen, die wir bis jetzt über die Entstehung und Entwicklung von jungen Sternen haben. Die Sterne der Plejaden müssten dann zum Beispiel aus wesentlich mehr Helium bestehen, als normalerweise üblich ist (bis zu 40 Prozent mehr!). Und es wäre vielleicht sogar nötig, komplett neue physikalische Vorgänge zu postulieren, um erklären, warum die Sterne so aussehen, wie sie aussehen, wenn sie nur 120 Parsec entfernt sind.

Wären die Plejaden dagegen 136 Parsec weit weg, wie es die anderen Messungen nahe legen, dann müsste man nicht auf exotische Erklärungen und unbekannte Physik zurück greifen. Dann würde sich die Sterne wunderbar in das bestehende Wissen einfügen. Es ist natürlich prinzipiell möglich, dass wir bei den Plejaden etwas entdeckt haben, zu dessen Beschreibung man völlig neue Theorien braucht (es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Wissenschaft…). Aber es ist angesichts der vielen anderen Messungen doch ein wenig unwahrscheinlich.

Um den Streit aufzulösen, haben Forscher um Carl Melis von der University California komplett neue Messungen gemacht und dazu das VLBA benutzt, das Very Large Baseline Array; eine Gruppe von Radioteleskopen die sich zu einem Riesenteleskop kombinieren lassen („A VLBI Resolution of the Pleiades Distance Controversy“). Neben dem VLBA kamen auch noch andere Teleskope überall auf der Welt zum Einsatz (unter anderem das Radioteleskop Effelsberg in Deutschland). All diese Geräte wurden zusammengeschaltet um möglichst genaue Ergebnisse zu bekommen. Gearbeitet wurde auch hier mit der Parallaxen-Methode, denn man kann die Sterne und ihre Bewegung ja auch im Radiolicht beobachten. Zusätzlich kann man mit diesen Teleskopen aber auch ferne Galaxien anpeilen und sie als Referenz für die parallaktische Bewegung und die Entfernungsmessung benutzen.

Genau das haben Melis und seine Kollegen getan und ihre Ergebnisse sind ziemlich klar. Die Entfernung zu den Plejaden beträgt 136,2 Parsec (plus/minus 1,2 Parsec). Das passt (siehe auch das Diagramm oben) gut zu den restlichen Messungen und bestätigt diese. Die Hipparcos-Messungen scheinen dagegen tatsächlich falsch zu sein. So oder so ist die Sache ein wenig beunruhigend. Hipparcos war eine sehr gründlich und genau durchgeführte Mission die mit ihren Ergebnissen wichtige neue Erkenntnisse geliefert hat. Es ist überraschend, dass man dabei so einen großen Fehler gemacht haben soll und einige der Hipparcos-Mitarbeiter sind auch weiterhin davon überzeugt, dass ihr Satellit alles richtig gemacht hat und führen den Unterschied in den Messungen tatsächlich auf ein noch nicht ganz korrektes Verständnis der Vorgänge im Inneren der Sterne zurück. Die Mehrheit der Forscher geht aber davon aus, dass Hipparcos in diesem Fall falsch gemessen hat.

Und das könnte auch in der Zukunft Probleme schaffen. Denn bis jetzt weiß niemand, warum Hipparcos diesen Fehler gemacht hat. Und demnächst wird GAIA mit seinen Messungen beginnen; das Nachfolge-Teleskop von Hipparcos. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber wenn man den Fehler bei Hipparcos nicht erkannt hat, dann könnte er bei GAIA ebenso auftreten. Vielleicht aber auch nicht – das weiß eben zur Zeit niemand.

GAIA und Hipparcos benutzen zwar beide die Parallaxen-Methode. Aber GAIA kann, so wie auch Melis und seine VLBA-Messungen, ferne Galaxien als Referenz für die Entfernungsbestimmung benutzen während Hipparcos das nicht konnte. Vielleicht stammt der Fehler aus dieser Quelle und tritt bei GAIA nicht auf. Die Wissenschaftler werden wohl ganz genau hinsehen, wenn GAIA die ersten Resultate liefert und sie mit Radiomessungen von der Erde aus überprüfen müssen…

16 Gedanken zu „Neue Physik oder unbekannter Messfehler: Streit um die Entfernung zu den Plejaden“
  1. Ein wertvoller Hinweis darauf, wie wichtig die gute alte Entfernungsbestimmung ist – selbst auf den untersten Stufen der Entfernungsleiter, ein Dankeschön an den Autor.

    Wenn man auf den unteren Stufen Fehler einbaut, dann stimmt auch darüber nichts mehr, weil die höheren Stufen mit Hilfe der niedrigeren jeweils geeicht werden. Und da könnte ein Hipparcos-Fehler noch ziemlich unangenehme Folgen haben. Man weiß eben nicht, was für einen Fehler Hipparcos gegebenenfalls gemacht hat, und wo der sonst noch drin stecken könnte. Sollte Hipparcos systematisch zu kurz gemessen haben, sind auch alle Folgerungen aus weiteren Messungen fraglich.

  2. Der offensichtlichste Unterschied zwischen Hipparcos und VLBI ist für mich gerade, dass Hipparcos aus dem Orbit misst und VLBI von der Erde aus. Das heißt da ist ne Menge Atmosphäre dazwischen, die zur Brechung des Lichtes und damit zu einer Änderung der Winkel führen kann.

    Wird sowas standardmäßig bei terrestrischen Teleskopen beachtet? Oder ist das hier entsprechend gemacht worden?

  3. Toller Artikel und zeigt, das Wissenschaft lebendig ist. Und Fehler offen diskutiert werden. Das wird den echten Verschwörer zwar in den Wahnsinn treiben (sind die Plejaden doch Raumschiffe der Aliens?) – aber für mich zeigt das eben, das da noch viel zu forschen ist 🙂

  4. Uiuiui. Mal angenommen, Hipparcos hätte nicht nur die Plejaden, sondern auch noch etliche andere Sterne „falsch gemessen…wieviele wissenschaftliche Arbeiten müssten dann wohl ihre Ergebnisse zumindest überarbeiten bzw. haben ggf. falsche Schlüsse gezogen. Abweichungen von bis zu 40% bei z.B. der Zusammensetzung sind ja nicht nichts.

    Anderes Thema: Kann man irgendwo Deine Klickzahlen oder etwas vergleichbares finden? Hast Du eine Ahnung, wieviele (Stamm-)Leser Du hast und magst Du es uns sagen? Wikipedia schreibt nach dem Standard von 400.000 Klicks pro Monat (in 2012) (bei geschätzten 55 Artikeln pro Monat wären das ca. 7200 Klicks/Artikel). Wie sieht es mit den Sternengeschichten auf den verschiedenen Kanälen (Feed/iTunes) aus?

    Es ist reine Neugier.

    1. @Crazee: „Es ist reine Neugier.“

      Und Offtopic. Und schwer zu messen. Vor allem die Anzahl der Stammleser. So detaillierte Statistiken hab ich nicht.

  5. Bei Sky & Telescope wird unter anderem spekuliert, der Plejaden-Haufen sei vielleicht tiefer in der räumlichen Ausdehung, als vermutet. Es geht ja nicht um einen einzelnen Stern, sondern um an die 200. Welche davon hat HIPPARCOS gemessen, und hat man von diesen dann den Mittelwert genommen? Sind es die gleichen wie bei der VLBI-Messung? Messen Radioteleskope nicht vielleicht eher Gas zwischen den Sternen?

    Warum weicht HIPPARCOS nur bei den Plejaden von anderen Ergebnissen ab – die Auswertungsmethode ist doch immer die gleiche?

  6. Ich habe mir vor einiger Zeit mal die Mühe gemacht und bin im „Free flight“-Modus durch Celestia gerauscht. Dabei hab ich auch die Plejaden angeflogen. Ich weiß jetzt nicht mehr genau, welchen Sternkatalog Celestia damals verwendet hat (es gab da einen custom-Katalog mit 1 Mio. Einträgen, und ich Honk hab den natürlich genommen, worauf Celestia immer drei Minuten zum Starten gebraucht hat … grrr), aber der Haufen sah von der „Seite“ wie ein ziemlich langer, enger Schlauch aus. Ich konnte mich mit der Vorstellung, die Plejaden wären eine „Sternstraße“, die zuuuuufälligerweise exakt auf unser Sonnensytem zeigt, noch nie anfreunden.

    so, und jetzt hab ich es mir nochmal angetan: wenn der scheinbare Durchmesser der Plejaden etwa 1° beträgt, sind das auf 400 Lichtjahre Entfernung etwa 6,3 LJ. Laut Celestia ist Asterope (21 Tau / HIP 17579) 372 Lichtjahre entfernt und Taygeta (q Tau / HIP 17531) 410 Lichtjahre. Das sind also etwa 38 Lichtjahre in „Schlauchlänge“ im Vergleich zu etwas über 6 Lichtjahre in Querrichtung. Und das waren nur die offensichtlichen Sterne. Bei anderen, die da noch in der Gegend herumlungern, wird der Fall noch extremer, aber Celestia „weiß“ natürlich nichts über die chemische Zusammensetzung der Sterne und kann damit nichts zur Frage beitragen, ob dieser oder jener Stern ein Mitglied des Haufens ist oder nur zufällig da durch die Botanik schippert.
    Sternhaufen mögen irregulär sein und damit quasi jede beliebige Form annehmen können, aber ausgerechnet der prominenteste von allen ist so geformt und dann auch noch zielgenau auf den Betrachter ausgerichtet? Ich bin da skeptisch und warte in diesem Fall gespannt auf die GAIA-Daten. Davon werden nämlich unter anderem auch neuere Versionen von Celestia et al. profitieren.
    @alle Perry-Kenner: Leider *seufz* werde ich es wohl nicht mehr erleben, eine terranische Version des Oldtimer-Planetariums auf Impos besuchen zu können.

  7. „Im großen und ganzen passt das alles recht gut zusammen…“

    Eigentlich nicht. Schon die alten Messungen passen nicht wirklich zusammen, die Schnittmenge der Fehlerintervalle ist leer. D.h einige der alten Messungen müssen falsch sein oder haben sind ungenauer als sie sein müßten.

  8. @#8:
    „Schon die alten Messungen passen nicht wirklich zusammen,…“
    Du hast sicherlich schon öfter Messergebnisse dargestellt und interpretiert???
    Die passen nämlich recht gut zusammen!

  9. Schon die alten Messungen passen nicht wirklich zusammen, die Schnittmenge der Fehlerintervalle ist leer

    Die Fehlerbalken sind eine Standardabweichung. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass der reale Wert in dem jeweiligen Intervallen liegt, beträgt nur 68%. Wenn du die Länge der Fehlerbalken verdoppelst (95% Wahrscheinlichkeit), passen die Werte gut zusammen.

  10. Ich glaube der Entfernungsfehler für Einzelsterne bei Hipparcos ist bei den Plejaden größer als 10%. Die Plejadenentfernung wurde durch Mittelung über viele Einzelsterne errechnet. Entweder sind Vordergrundsterne mit reingeraten oder vielleicht sind die Fehler nahe benachbarter Sterne nicht unabhängig? Tritt diese Abweichung auch bei anderen Haufen auf?

  11. @UMa

    In diesem Papier machte man sich schon um die Jahrtausendwende einen Kopf um den Unterschied zwischen Hipparcos und anderen Ergebnissen und vermutet einen systematischen Fehler (siehe Conclusion). Habe aber nicht ganz verstanden, wie der zustande kommen sollen (irgendwas mit Abhängigkeit der Messung von der Rektaszension / Abstand der Sterne vom Zentrum).

  12. Ich komme für die verfügbaren Entfernungmessungen ohne Hipparcos auf ein gewichtetes Mittel von 134,5+-0,6 pc.

    Es ist offenbar ein Problem mit den Parallaxenfehlern in Clustern gefunden worden:
    https://arxiv.org/abs/1203.4945
    Sie kommen für 45 Einzelsterne in den Plejaden auf eine Entfernung von 125,6+-4,2 pc für die Plejaden mit den Hipparcos-Daten.

  13. Gaia EDR3:
    Median der Entfernung der Sterne im Gebiet der Plejaden 135,44+-0,12 pc.
    Außer ZP noch keine möglichen systematischen Fehler berücksichtigt

  14. Update: Nach dem Ausschluss von Sternen mit unpassender Eigenbewegung (also jener, die nur durch den Haufen fliegen), ist der Median der Entfernung der Plejaden 135,38+-0,12 pc.

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