In Lüneburg hält sich der Himmel heute nicht an die Vorhersagen der Meteorologen. Regen, Wind und Unwetter werden auf den Karten der Frühstücksfernsehsendungen angezeigt. Über der Hansestadt in der Heide aber zeigt sich ein blauer Himmel und wer rechtzeitig wach war, konnte einen von Wolken ungestören Sonnenaufgang beobachten. Aber vermutlich werden sich die Prophezeiungen der Wetterkundler doch noch erfüllen und ob der Sonnenuntergang ebenso wolkenlos stattfinden wird, ist fraglich. Bis dahin ist aber noch ein bisschen Zeit. Die Erde muss sich noch ein paar Stunden lang um ihre eigene Achse drehen, bis Lüneburg wieder in den Schatten der nächtlichen Hälfte unseres Planeten geschoben wird. Hier im Norden dauert das im Sommer ja auch zum Glück ein wenig länger als im Süden. Wer die potentiell sonnigen Stunden aber maximal ausreizen will, muss nach Westen reisen.
Unser Planet dreht sich von Westen nach Osten (zumindest dann, wenn man ihn vom Nordpol aus betrachten würde). Die Sonne verschwindet also auch im Westen hinter dem Horizont und je weiter westlich man sich befindet, desto später wird es dunkel. Das bedeutet aber nicht, dass der letzte Sonnenuntergang Europas auch am westlichsten Punkt des Kontinents zu sehen ist. Der Physiker Jorge Mira hat genau nachgesehen, wo in Europa die Lichter ausgemacht werden und er muss es wissen, denn er arbeitet an der Universität von Santiago de Compostela.
Die spanische Pilgerstadt liegt am Ende des berühmten Jakobswegs. Wenn Wanderer aus der ganzen Welt ihre lange Reise dort hinter sich gebracht haben, ziehen sie oft noch ein wenig weiter, bis zum Meer nach Finisterra. Dort vermuteten schon die Römer das Ende der Welt, das Finis Terrae. Schon bevor die Christen auf den Spuren des Jakobs pilgerten, wanderten die Menschen zu diesem Punkt, um die Sonne anzubeten – oder vielleicht auch einfach nur, um den beeindruckenden Sonnenuntergang am Ende der Welt zu beobachten.
Dabei liegt der westlichste Punkt Spanies gar nicht bei Finisterra sondern 20 Kilometer weiter nördlich bei Cabo Touriñán. Und weiter im Süden, in Cabo da Roca in Portugal, kann man auf dem europäischen Festland sogar noch ein Stück weiter nach Westen gelangen. Trotzdem ist auch Cabo da Roca nicht der Punkt, an dem die Sonne am Abend über Europa am längsten zu sehen ist. Zumindest nicht immer.
Die Sache wäre viel einfacher, wenn unser Planet aufrecht im All stehen würde. Aber die Achse, um die sich die Erde dreht, ist ein wenig schief und knapp 23,5 Grad aus der Vertikalen geneigt. Die Grenze zwischen der Tag- und der Nachthälfte, der Terminator, verläuft daher auch nicht exakt von Nord nach Süd. Im Sommer neigt die Erde ihre nördliche Hemisphäre der Sonne zu, im Winter schiebt sich der Süden Richtung Sonne. Dementsprechend schief ist auch der Terminator und genau darum geht die Sonne im Sommer Nordeuropas auch später unter als im Süden. Die Grenze zwischen Tag und Nacht verläuft von Südwesten nach Nordosten und je weiter nördlichen man sich befindet, desto länger kann man den Sonnenuntergang hinauszögern. Nur an zwei Tagen im Jahr, den Tagundnachtgleichen im Frühling und Herbst verläuft der Terminator tatsächlich genau von Nord nach Süd und nur an diesen Tagen findet der letzte Sonnenuntergang Kontinentaleuropas tatsächlich auch am westlichen Punkt des Kontinents in Cabo da Roca statt.
Danach sorgt die schiefe Erdachse für eine stetige Wanderung des finalen Sonnuntergangs. Im Frühling kann man ihn noch in Portugal beobachten, bevor er Ende März bis Ende April im spanischen Cabo Touriñán zu sehen ist. Im Mai allerdings springt der letzte Sonnenuntergang weit nach Norden. Nun kann man ihn an der norwegischen Küste in Aglapsvik und später in Måsøy beobachten. Den ganzen Sommer über bleibt den Norwegern dieser Rekord und sie können die Sonne als letzte in Europa untergehen sehen (vielleicht ein gerechter Ausgleich für die kühlen Temperaturen). Erst Mitte August wandert der Sonnenuntergang wieder zurück nach Cabo Touriñán bevor er zur herbstlichen Tagundnachtgleiche wieder Cabo da Roca erreicht.
In Lüneburg hat sich die Sonne mittlerweile ein wenig weiter den Himmel empor gearbeitet und schafft es immer noch, den Wolken zu entkommen die mit enormer Geschwindigkeit über die Dächer der Fachwerkhäuser ziehen. Noch können sie sich nicht entscheiden, ob sie freundlich weiß oder unwetterdunkel sein wollen. Aber ich fürchte, der Sonnenuntergang wird heute Abend wohl hinter einer dichten Wand aus Regen stattfinden…
Alle Artikel aus meiner Serie zum Klimawandel gibt es hier.
Weil du auch den Sonnenaufgang erwähnt hast. Venus und Jupiter waren heute ganz nah beieinander. Ein wirklich beeindruckendes Schauspiel. War aber leider nur kurz zu sehen.
„Unser Planet dreht sich von Westen nach Osten (zumindest dann, wenn man ihn vom Nordpol aus betrachten würde). “
Und vom Südpol oder Äquator aus gesehen, dreht sie sich von Ost nach West, oder was? 😛
„und genau darum geht die Sonne im Sommer Nordeuropas auch später unter als Süden“
und ich dachte immer im Süden wäre es nachts kälter als draußen 😉
Die im paper von Jorge Mira gezeigten Grafiken machen das Ganze nochmal deutlich klarer, finde ich… Kannst du ein paar von denen noch in deinen Artikel einbinden, oder gibt es da Copyright-Probleme?
Es wird um die Sommersonnenwende schwierig, den westlichsten Ort Europas festzulegen, an dem die Sonne untergeht, weil sie dann in Nordnorwegen überhaupt nicht mehr untergeht.
Die oben im Artiekl genannte Kommune Måsøy liegt jedenfalls ganz in der Nähe vom Nordkap, und da geht Ende Juni die Sonne gar nicht unter. Der nördlichste Ort, an dem die Sonne am 21.06. noch untergeht, dürfte irgendwo westlich des Ortes Mosjøen liegen, 0,75° südlich des Polarkreises. Am Polarkreis schneidet, rein geometrisch gerechnet, der Mittelpunkt der Sonne zur Sommersonnenwende um Mitternacht den Horizont, man muss also einen halben Sonnendurchmesser (15 Bogenminuten = 0,25°) weiter nach Süden, um die Sonne noch komplett untergehen zu sehen. Die Atmosphäre hebt die Sonne jedoch durch Lichtbrechung um ein halbes Grad (einen vollen Sonnendurchmesser) an, und so muss man sogar 0,75° (45 Bogenminuten) südlich des Polarkreises, um sie tatsächlich noch ganz untergehen zu sehen.
Das wäre dann bei 65°49′ N. Da gibt’s vor der norwegischen Westküste jede Menge Schären und es ist eine Definitionsfrage, was noch als Festland gelten darf. Das Örtchen Tjøtta ist jedenfalls die westlichste Ortschaft auf diesem Breitengrad in Norwegen.
@Bjoern
Ach, den Link zu dem Paper sehe ich jetzt erst. Wenn man das Datum entsprechend früher oder später wählt, geht die Sonne natürlich irgendwann auch in Måsøy unter und dann ist dieser Ort in der Tat der westlichste.
Aber eigentlich sind laut den Karten im Artikel zu den betreffenden Zeiten Schottland und der Westen Irlands die klaren Sieger. Die sind zwar zur Zeit vom europäischen Festland abgeschnitten, aber während der letzten Eiszeit konnte man noch zu Fuß über Doggerland nach Britannien spazieren, damals, als die Themse noch ein Nebenfluss des Rheins war. Als Jugendliche waren wir mal vor Oostende mit einem Kutter zum Fischen rausgefahren, bis man die Küste nicht mehr sah, und mit der Angelschnur mit Senkblei kam man problemlos bis auf den Meeresboden.
Nur weil da kürzlich ein bisschen Wasser drüber gelaufen ist, ist das doch immer noch Europa…
Und wie sieht es mit Irland aus?
Oder gibt es den spätesten Sonnenuntergang nur auf dem Kontinent?
@Veit, @Alderamin: Ja, es ist immer nur Kontinentaleuropa gemeint. Wenn man die ganzen Inseln, überseeischen Gebiete etc dazu nimmt, dann wirds zu unübersichtlich. Die sind ja über die ganze Erde verteilt…
@Bjoern: Naja, abgesehen davon dass bei den Grafiken tatsächlich Copyrightprobleme vorherrschen, finde ich die auch ausgesprochen hässlich…
…und auch Frankreich hat ein „Finisterre“ … in der Bretagne. Und da geht auch irgenwann die Sonne unter 🙂
Schöner Artikel, hat mir gefallen!
@FF, leicht OT: danke, daß du die fotos von dir, sofern nicht nötig wegen details, nicht mehr grundsätzlich mit 12MP hochlädst ;D
Zugegeben: Mein folgender Beitrag passt wohl weniger zum Sonnenuntergang – zur Sonne selbst indes sehr wohl. Letztere ist ja nicht gerade häufig Thema hier im blog.
Der Grund für das, was jetzt von mir schriftlich kommt: Ich habe eine ganze Reihe von astronomischen, humorvollen, Gedichten „verbrochen“, allesamt unveröffentlicht. Humor ist und war mir nämlich stets wichtig – und solte auch in den Naturwissenschaften keinesfalls unter den Tisch fallen, meine ich. Also:
Sonniges
Es denken zwar die Astronomen
nicht, dass den Sternen innewohnen
für Menschen relevante Kräfte
doch sind’s sehr wohl besond’re Säfte
aus denen ein Stern aufgebaut
Ganz außen ist da mal die Haut.
Die Forscher sagen Photosphäre
denn ohne die der Stern bloß wäre
ein runder, roher, Klumpen Gas.
Die Photosphäre schafft nun das
was für uns Menschen uns’re Kleidung:
Sie erlaubt, ganz simpel, Unterscheidung
von Innen- und dem Außenleben;
wir wollen nunmehr innwärts streben
gewissermaßen ins Gedärme
denn von dort drinnen stammt die Wärme.
Vorerst obsiegt die Konvektion
als Energietransport, obschon
wenn wir behände tiefer steigen
die Strahlung anfängt aufzugeigen
um schließlich einzig und alleine
der Energie zu machen Beine
die ganz verborgen, im zentralen
Bereich erzeugt wird, um zu strahlen.
Der Grund dafür ist Wasserstoff
doch dort, wo der brennt, gibt es Zoff
da geht es drüber und auch d’runter
der Wasserstoff ist ständig munter
beeilt sich, gründlich zu mutieren
in Helium, was wir goutieren
weil bei der ganzen Mutation
die uns’rereins nennt „Kernfusion“
all das an Wärme und an Licht
durch die die „Sonne“ so besticht
geschaffen wurde – uns zum Wohl
tät‘ sie das nicht, so wär’s frivol!
So, hoffentlich finde ich Gnade mit dieser leichten Themaverfehlung bei Florian und einigen von euch.
Übrigens: Könnte eventuell einmal „Humor in der Astronomie“ ein blog-Thema sein?