Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs „Die perfekte Theorie: Das Jahrhundert der Genies und der Kampf um die Relativitätstheorie“* (im Original „The Perfect Theory: A Century of Geniuses and the Battle over General Relativity“* von Pedro Ferreira. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier
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Im ersten Kapitel des Buchs haben wir erfahren, was eigentlich das allgemeine an der Allgemeinen Relativitätstheorie ist und wie Albert Einstein überhaupt auf die Idee kam, sie zu entwickeln. Im zweiten Kapitel hat Einstein dann mühsamer Rechnerei endlich herausgefunden, wie er diese Theorie formulieren kann. Das dritte Kapitel hat gezeigt, dass wir aus der allgemeinen Relativitätstheorie überraschend viel über die Entstehung des Universums lernen können. Kapitel 4 hat erklärt, dass man aus ihr auch faszinierende Erkenntnisse über sterbende Sterne erhalten kann. In Kapitel 5 ging es um Einsteins Gegner und die zweifelten in Kapitel 6 sogar den Urknall an; den größten Erfolg der Relativitätstheorie. In Kapitel 7 erzählt Ferreira wie die Relativitätstheorie langsam wieder an Fahrt aufnahm und sich nun auch die Astrophysiker mit ihr beschäftigten mussten und Kapitel 8 zeigte, dass das eine gute Idee war, denn die komischen Phänomene die Einsteins Theorie vorhersagte, schienen im Kosmos tatsächlich zu existieren.
Jetzt machten sich die Wissenschaftler mit neuem Schwung an die Arbeit mit der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die Quantenmechanik hatte in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie ein ziemlich mächtiges Theoriegebäude war um die Welt beschreiben zu können. Nun versuchte man erneut, das zu erreichen, an dem schon Einstein selbst gescheitert war: Die Relativitätstheorie mit dem Rest der theoretischen Physik zu vereinen.
Der erste, dem ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gelang, war Paul Dirac. Der berühmte Physiker (ich empfehle euch dringend, die tolle Biografie zu lesen, die Graham Farmelo über ihn geschrieben hat: „The Strangest Man: The Hidden Life of Paul Dirac, Quantum Genius: The Life of Paul Dirac“*). Er schuf die Dirac-Gleichung mit der sich Elektronen und Quarks beschreiben ließen und zwar unter Berücksichtigung von Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Simpel gesagt hatte Dirac Quantenmechanik und spezielle Relativitätstheorie vereint und wie gut seine Arbeit war zeigte sich, als ein Teilchen, dessen Existenz seine Gleichung vorhersagte tatsächlich entdeckt wurde: Das Positron, das gleichzeitig auch das erste Anti-Teilchen war, das man nachweisen konnte.
Diracs Theorie beschrieb Teilchen. Aber was war mit den Kräften? Was war mit dem Elektromagnetismus? Hier machten Richard Feynman, Julian Schwinger und Sin-Itiro Tomonaga (die genau so wie Dirac alle den Nobelpreis erhalten sollten) die nächsten Fortschritte. Sie entwickelten die Quantenelektrodynamik (QED), eine einheitliche Beschreibung von Elektronen und Photonen, also eine Theorie von Teilchen und Kräften. Paul Dirac war von der QED allerdings nicht so begeistert, weil er die dort verwendete Methode der Renormierung als unelegant und mathematisch zweifelhaft betrachtete. Die Renormierung war aber nötig – ohne sie machte die Theorie unsinnige Vorhersagen, die nicht mit den Beobachtungen übereinstimmten.
Als nächstes probierte man die schwache und die starke Kernkraft in eine umfassende Theorie zu inkludieren. Diese beiden Kräften wirken innerhalb der Atome und sorgen für deren Zusammenhalt bzw. Zerfall. Steven Weinberg und Abdus Salam gelang es in den 1960er Jahren die elektromagnetische und die schwache Kraft mit einer gemeinsamen Theorie zu beschreiben und ein paar Jahre später konnte man auch zeigen, dass sowohl die Theorien zur Beschreibung der schwachen als auch die der starken Kraft ebenfalls mit der Methode der Renormierung bearbeitet werden konnten und es somit prinzipiell möglich sein musste, alle drei Kräfte mit einer einzigen „Grand Unified Theorie (GUT)“, also einer großen vereinheitlichten Theorie zu beschreiben (auch wenn das im Detail bis heute noch nicht gelungen ist).
Die theoretischen Beschreibungen von elektroschwacher und starker Kraft wurden später zum Standardmodell der Teilchenphysik zusammengefasst und jetzt fehlte eigentlich nur noch die Gravitation. Die erwies sich aber als harter Brocken. Bryce DeWitt, den wir schon im vorletzten Kapitel kennengelernt haben, wollte es aber unbedingt schaffen und war dafür sogar bereit, einen Schritt zurück zu machen und Einsteins elegante Beschreibung der Gravitation zumindest formal zu verwerfen.
Einsteins grandiose Idee bei der Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie war es ja, sie nicht als Kraft auf die gleiche Art wie zum Beispiel den Elektromagnetismus zu betrachten, sondern als Auswirkung der Geometrie der Raumzeit. Die elektromagnetische Kraft kann man sich vermittelt durch Teilchen vorstellen, die Photonen. Sie sausen zwischen den Atomen und Molekülen hin und her und je nach Ladung werden sie angezogen oder abgestoßen. DeWitt wollte diese Beschreibung auf die Gravitation übertragen und sie so beschreiben, wie es auch bei den anderen Kräften (die alle ebenfalls entsprechende Austauschteilchen besitzen) der Fall war. Er führte dazu ein neues Teilchen ein, das Graviton und hoffte, die Gravitation damit auf die gleiche Art beschreiben zu können wie es Feynman und seinen Kollegen mit der QED gelungen war.
Nur leider funktionierte die Methode der Renormierung bei der Gravitation nicht. Ohne Renormierung liefern die Theorien der anderen Kräfte sinnlose Vorhersagen und behaupten zum Beispiel, ein Elektron hätte eine unendlich große Masse. Die Renormierung aber entfernt diese Unendlichkeiten und macht die Theorien praktikabel, so dass sie korrekte Vorhersagen liefern. Renormiert man aber die Gravitation, dann verschwinden die Unendlichkeiten nicht, sondern tauchen anderswo wieder auf. Die Sache mit der Quantengravitation funktionierte einfach nicht – die Gravitation schien einfach irgendwie anders zu sein als die anderen drei Kräfte und sperrte sich gegen jeden Versuch, sie zu vereinheitlichen.
Erst 1974 gab es einen kleinen Lichtblick. Da hielt Stephen Hawking einen Vortrag und sprach von dem, für das er heute (neben vielen anderen Dingen) berühmt ist. Hawking zeigte, dass schwarze Löcher nicht völlig schwarz sind, wie man bisher dachte. Sie haben eine Temperatur und sie geben Strahlung ab, wenn auch sehr wenig. Und er kam zu dem Ergebnis, in dem er Quantenmechanik und Relativitätstheorie kombinierte. Die Geschichte der „Hawking-Strahlung“ möchte ich jetzt nicht noch einmal komplett nacherzählen (Ferreira erklärt das im Buch sehr anschaulich und wer lieber Videos schaut kann sich das hier oder das hier ansehen).
Hawkings Entdeckung, dass Quanteneffekte in der Nähe von schwarzen Löcher dazu führen, dass sie Strahlung abgeben, darf aber nicht mit einer, wenn auch nur ansatzweisen, Vereinheitlichung von Relativität und Quantenmechanik verwechselt werden. Hawking hatte speziell schwarze Löcher betrachtet und sich nicht mit einer allgemeinen Beschreibung der Gravitation beschäftigt. Aber er hatte gezeigt, dass seltsame Dinge passieren, wenn beide Theorien kombiniert werden und das eine Theorie der Quantengravitation dringend nötig wäre, um diese seltsamen Dinge vernünftig zu erklären. Und währenddessen machten sich die Astronomen daran, ein paar der anderen seltsamen Effekte zu beobachten, die Einsteins Theorie vorhersagte…
Als ewiger Nörgler bin ich mit dem Abschnitt über deWitt nicht ganz einverstanden (ich gebe aber gern zu, dass ich das selbst oft falsch erklärt habe, weil ich’s nicht besser wusste): Man kann die ART selbst komplett über Kräfte beschreiben, ohne sich um Raumzeitkrümmung großartige Gedanken zu machen. Das macht z.B. Steven Weinberg in seinem ART-Buch (und Feynman in den lectures on Gravitation auch).
Die beiden Standpunkte sind zunächst vollkommen äquivalent – die Idee der Raumzeitkrümmung erlaubt allerdings andere Topologien der Raumzeit, das geht meines Wissens mit dem Kraft-Ansatz nicht so einfach. Da die aber experimentell bisher nicht nachgewiesen sind, ist das kein echtes Problem der Kraft-Interpretation.
Man kann auf dieser basis auch eine Quantentheorie einführen – so weit ich es verstehe, liefert die auch genau die Einsteinschen Feldgleichungen, solange man keine Schleifen in den Feynman-Diagrammen hat (und also nicht renormieren muss). Ich hoffe, ich habe das korrekt erklärt, obwohl ich da auch nicht ganz sattelfest bin.
@MartinB: „Als ewiger Nörgler bin ich mit dem Abschnitt über deWitt nicht ganz einverstanden“
Was genau? Im Prinzip sage ich (bzw. Ferreira) ja genau das, was du auch sagst (es sei denn, ich habe irgendwas nicht verstanden). Einstein hat die ART geometrisch beschrieben; DeWitt wollte sie im Rahmen der QFT beschreiben und das hat nicht geklappt.
@Florian
Der Puinkt ist, dass eine Beschreibung mit Kräften durchaus klappt, ganz ohne jede Interpretation als Raumzeitkrümmung.
Diese Beschrebung lässt sich nur nicht als QFT renormieren, aber als klassische Beschreibung funktioniert sie.
Man kann sogar mit nem Spin-2-Teilchen anfangen und bekommt am Ende quasi zwangsläufig die Einsteinsche Feldgleichung – solange man nicht renormieren muss.
@Martin: Aber habe ich nicht genau das geschrieben? Oder verstehe ich da immer noch was falsch?
Für mich liest es sich so, als würde die Beschreibung der ART als Kraft generell nicht funktionieren. Oder lese ich den Absatz nur irgendwie falsch?
Ich kann Martins Argument nachvollziehen, habe aber keine Ahnung von den physikalischen Details die ihr da besprecht.
@Silava, Martin: Also ich habe im Text geschrieben: „Er führte dazu ein neues Teilchen ein, das Graviton und hoffte, die Gravitation damit auf die gleiche Art beschreiben zu können wie es Feynman und seinen Kollegen mit der QED gelungen war. Nur leider funktionierte die Methode der Renormierung bei der Gravitation nicht.“
Für mich klingt das so, wie das, was Martin gesagt hat. DeWitt wollte die Gravitation als QFT mit Renormierung beschreiben, so wie es bei den anderen Kräften gelungen war. Aber bei Gravitation ging es nicht. Ob man die ART auch „normal“ als nicht-geometrische „Krafttheorie“ beschreiben kann oder nicht hab ich im Text gar nicht angesprochen.
Ob man die ART auch “normal” als nicht-geometrische “Krafttheorie” beschreiben kann oder nicht hab ich im Text gar nicht angesprochen.
Mit meinem begrenzten Verständis der Materie kam aber an dass man die ART eben nicht so „normal“ beschreiben könnte, habe das dann vermutlich sozusagen zwischen den Zeilen herausgelesen. Das mache ich aber eher an dem nächsten Satz fest: „Ohne Renormierung liefern die Theorien der anderen Kräfte sinnlose Vorhersagen…“
@Florian
Ja, mit dem teil bin ich ja auch einverstanden. Es liest sich aber für mich im Zusammenhang mitdem Teil davor so, als könne man die gravitation nur mit Hilfe einer QFT der Gravitonen als Kraft beschreiben und als wäre die Beschreibung über die Raumzeitkrümmung eine andere. Und das ist so ja nicht korrekt – die klassische beschreibung mit Kräften ist genauso zulässig und möglich wie die mit der Raumzeitkrümmung, und quantisieren lassen sich beide nicht (Soweit ich weiß, ist es für die Raumzeitkrümmungs-Beschreibung sogar noch schwieriger, weil man theoretisch über alle denkbaren Topologien des Raumzeit-Schaums summieren müsste, und die lassen sich nicht mal theoretisch berechnen, das verhindert meiner düsteren Erinnerug nach der Gödelsche Satz).
> Richard Feynman erklärt etwas
Der Bildkommentar ist etwas dürftig, mehr gibt es hier: https://nikotheorb.wordpress.com/2013/09/03/knowing-something-and-knowing-the-name-of-something/
@Karl Mistelberger: „Der Bildkommentar ist etwas dürftig“
Der Kommentar ist absichtlich so, wie er ist. Es ist notorisch schwer, freie (public domain) Bilder zur Illustrierung von theoretischer Physik zu finden. Natürlich weiß ich, dass man über Feynman sehr viel mehr schreiben kann. Aber darum ging es hier ja nicht…