Wenn man sich die Sonne so ansieht, dann sieht sie meistens ziemlich ruhig und friedlich aus. Nur mit entsprechenden Teleskopen kann man sie als den riesigen, brodelnden Ball aus heißem Gas sehen, der sie in Wahrheit ist. Dass Sterne bei genauerer Betrachtung ziemlich komplexe Objekte sind, wissen wir ja schon seit einigen Jahrzehnten. Aber sind sie auch tatsächlich chaotisch? Das haben sich Arnold Hanslmeier von der Universität Graz und seine Kollegen gefragt („The chaotic solar cycle II. Analysis of cosmogenic 10Be data“) und die Sache mal genauer betrachtet.
Es geht um die Frage der Sonnenaktivität. Damit ist nicht die Helligkeit der Sonne gemeint, sondern die elektromagnetischen Prozesse in ihrem Inneren. Die Sonne besteht aus einem Plasma, also aus Gas, in dem die Elektronen der Atomhülle nicht mehr an die Atomkerne gebunden sind. Deswegen ist das Plasma auch nicht mehr elektrisch neutral, sondern geladen und seine Bewegung wird von den Magnetfeldern in der Sonne beeinflusst. Gleichzeitig bestimmt die Bewegung der elektrisch geladenen Plasmaströme aber auch die Stärke und Ausrichtung der Magnetfelder (ich habe das hier ausführlich erklärt). Die elektromagnetischen Vorgänge auf der Sonne können dann zum Beispiel für mehr oder weniger Sonnenflecken sorgen oder für mehr oder weniger Protuberanzen und Explosionen, die Plasma ins Weltall schleudern. Gibt es viele Flecken und Protuberanzen, ist die Sonnenaktivität hoch; gibt es wenig, dann ist sie gering. Seit knapp 200 Jahren beobachten wir die Sonne gut genug, um diese Aktivität aufzeichnen zu können, und wir wissen, dass sie sich in einem 11-Jahres-Zyklus ändert: Alle 11 Jahre ist die Aktivität besonders hoch.
Aber die längerfristige Entwicklung der Sonne zu untersuchen ist viel schwieriger. Wir wissen ja nicht, wie die Sonne vor 500, 1000 oder 5000 Jahren ausgesehen hat. Um Aussagen über die Aktivität in früheren Zeiten machen zu können, braucht es indirekte Methoden. Hanslmeier und seine Kollegen haben sich deswegen angesehen, wie groß die Menge an Beryllium-10-Isotopen in Eiskernen ist, die an den Polen heraufgebohrt wuren. Beryllium-10 ist radioaktiv mit einer Halbwertszeit von wenig mehr als einer Million Jahre und es kommt normalerweise über die natürliche kosmische Strahlung aus dem All zu uns auf die Erde. Ist die Sonne allerdings gerade besonders aktiv, dann schleudert sie besonders viel geladenes Plasma ins All und das wirkt wie eine Art „Schutzschild“, das die kosmische Strahlung nicht durchlässt. Ist die Sonnenaktivität also hoch, erreicht wenig Beryllium-10 die Erde und umgekehrt. Auf diese Weise (und mit anderen, ähnlichen Methoden) kann man also auch die Sonnenaktivität vergangener Zeiten rekonstruieren. So sieht das in der Arbeit von Hanslmeier und seinen Kollegen aus:
Hier sieht man zwei verschiedene Rekonstruktionen; einmal mit dem Isotop C-14; einmal mit Beryllium-10 (die Übereinstimmung ist nicht ganz perfekt, da man bei der Auswertung der Beryllium-Daten auch die Veränderungen im Magnetfeld der Erde berücksichtigen muss, was nicht so einfach ist). Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass die Daten aus technischen Gründen über 25-Jahres-Intervallen gemittelt werden mussten; der klassische 11-Jahres-Zyklus kann in diesen Rekonstruktionen also nicht gesehen werden. Aber es gibt ja durchaus auch längerfristige Aktivitätszyklen, die dem 11-Jahres-Zyklus überlagert sind.
Hanslmeier und seine Kollegen wollten nun wissen, ob diese Veränderung der Sonnenaktivität chaotische Aspekte aufweist oder nicht. Das ist ein klassisches Problem in der Physik bzw. Mathematik: Man hat eine sogenannte „Zeitreihe“, also eine Menge an Datenpunkten die zeitlich aufeinander folgen und möchte wissen, ob da irgendeine Ordnung drin steckt oder eben nicht. Kennt man die physikalischen Gesetze, anhand derer die Zeitreihe erzeugt wird, kann man das oft vergleichsweise einfach machen. Hier hat man aber nur jede Menge Messwerte und weiß nicht genau, welche physikalischen Gesetzmäßigkeiten dahinter stecken. Methoden zur Analyse von Zeitreihen gibt es jede Menge und Hanslmeier et al haben einige von ihnen ausprobiert. Zum Beispiel die „Delayed Coordinates“. Da trägt man in einem Diagramm die Werte der Zeitreihe gegen die Werte der Zeitreihe zu einem späteren Zeitpunkt auf. Hat man zum Beispiel eine völlig regelmäßige Zeitreihe, bei der die Sonnenaktivität immer gleich stark ist, also immer den selben Wert hat, dann sieht man das auch in den Diagrammen der „Delayed Coordinates“. Hat die Aktivität zum Zeitpunkt 1 den Wert x, dann hat sie diesen Wert auch zum Zeitpunkt 2, zum Zeitpunkt 10, zum Zeitpunkt 100, und so weiter. Wenn ich im Diagramm also nun den Zeitpunkt 1 gegen den Zeitpunkt 101, den Zeitpunkt 2 gegen den Zeitpunkt 102, den Zeitpunkt 3 gegen den Zeitpunkt 103, usw auftrage, dann bekomme ich immer den selben Wert und im Diagramm für die gesamte Zeitreihe nur einen einzelnen Punkt. Und je nachdem wie stark die Variation der Sonnenaktivität ist und ob dort bestimmte Zyklen zu erkennen sind oder nicht, bekomme ich bei den Diagrammen der „Delayed Coordinates“ verschiedene regelmäßige oder unregelmäßige Strukturen. So sieht das zum Beispiel aus für ein Delay von 1, 5, 10, 15, 20 und 25 Zeitschritten.
Hanslmeier und seine Kollegen haben noch diverse andere Techniken angewandt um nach Chaos in der Sonnenaktivität zu suchen, die ich jetzt aber nicht alle im Detail erklären will. Sie haben dabei festgestellt, dass das Verhalten der Sonnenaktivität um so simpler bzw. weniger chaotisch wird, je längere Zeiträume man betrachtet. Filtert man zum Beispiel alle Variationen aus dem Datensatz heraus, die kleiner als 380 Jahre sind, dann bekommt man eine sehr einfache Zeitreihe, die sich sehr ordentlich verhält. Den Grund dafür vermuten Hanslmeier und seine Kollegen nicht in der Sonne selbst, sondern in verschiedenen Prozessen auf der Erde, die die Menge an C-14 und Beryllium-10 nachträglich noch verändern (C-14 nimmt zum Beispiel am Kohlenstoffzyklus teil und das kann durchaus Auswirkungen haben). Insgesamt kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Sonnenaktivität nicht völlig zufällig und chaotisch ist, sondern durchaus gewissen Zyklen und Regeln folgt. Und das ist doch schön zu wissen!
Servus
Ist das Maximum jetzt eigentlich überwunden (was ja doch eher gering war…) und wird das doch noch erwartet?
Das Max. wurde ja mal auf Ende 2013 verschoben…
PS: Wie sehr interessiert es ‚uns‘, daß sich das Magnetfeld der Sonne demnächst umpolen soll? Ich gehe mal davon aus, das die Erde deswegen WIEDER NICHT untergehen wird 😉
@Chris: Der „Polsprung“ auf der Sonne hat schon stattgefunden: https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/?p=11557
Apropos Ende der Erde… leicht OT: wann wird die Erde nicht mehr in der habitablen Zone unserer Sonne sein? Man (ich) liest immer wieder widersprüchliche Zeitmarken. Die Sonne wird (4,5 – 7 Mrd. Jahre) weiter existieren.. irgendwann soll sie sich zum Roten Riesen aufblasen (und dann bis zur Erdumlaufbahn reichen) …auch hier lese ich weit divergierende Zahlen: zwischen 1Mrd. und dem Ende in 4,5 – 7 Mrd. Jahren.
Hast du da mal was zu geschrieben? (…du hast doch da bestimmt schon mal was zu geschrieben….)
Vielen Dank und LG!
@Hammster: Hier hab ich was dazu erzählt: https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2013/07/26/sternengeschichten-folge-35-das-paradoxon-der-jungen-schwachen-sonne/
Ich habe schon öfters gelesen, dass sich durch den allmählichen Übergang vom Wasserstoff- zum Heliumbrennen die Sonne „schon“ in 500 Millionen Jahren so weit aufheizen wird, dass die Erde zum toten Wüstenplaneten mutiert. Die habilitale Zone würde sich demnach viel früher nach außen verlagern.
@Toolmax
Es ist richtig, dass die Sonne allmählich immer heißer wird und in 900 Millionen Jahren zu warm für mehrzelliges Leben (nach 1,9 Milliarden Jahren sieden dann die Ozeane und die Erde wird eine zweite Venus), allerdings gibt es keinen allmählichen Übergang zum Heliumbrennen, das geschieht ziemlich abrupt (Helium-Blitz).
Verantwortlich für die allmähliche Erwärmung ist, soweit ich verstanden habe, die sich verschiebende Balance zwischen zwei verschiedenen Fusionsprozessen, der Proton-Proton-Kette und dem CNO-Zyklus. Da die Proton-Proton-Kette mit abnehmendem Wasserstoffvorrat immer weniger Energie erzeugen kann, sinkt der Strahlungsdruck, während hydrostatischer Druck und Temperatur durch das Gewicht der Sonnenmasse zunehmen, womit der CNO-Zyklus effizienter wird, der insgesamt mehr Energie liefert.