Das Universum ist ja generell ziemlich faszinierend. Manchmal ist es aber auch regelrecht absurd. So wie zum Beispiel auf diesem Bild hier:

Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF
Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF

Wie? Das sieht alles ganz normal aus? Ganz normale Sterne am ganz normalen Himmel? Mag sein – aber auch nur, weil man nicht richtig hingesehen hat. Das Bild oben zeigt uns den Himmel so, wie wir ihn mit unseren eigenen Augen sehen könnten wenn sie so lichtempfindlich wären wie die großen Teleskope, mit denen die Aufnahmen gemacht wurden. Aber es gibt ja noch viel mehr zu sehen! Die Himmelskörper leuchten nicht nur im ganz normalen optischen Licht, sondern zum Beispiel auch im Radiolicht. Sieht man mit einem Radioteleskop nach, welche Regionen in diesem Himmelsausschnitt Radiostrahlung abgeben, dann sieht das so aus:

Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF
Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF

Immer noch nicht interessant genug? Dann kann man sich auch noch das Röntgenlicht ansehen. Auch das ist ganz normales Licht, nur eben mit einer viel kürzeren Wellenlänge als das optische bzw. Radiolicht. Ein Röntgenteleskop sieht diesen Himmelsausschnitt so:

Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF
Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF

Und jetzt sieht es wirklich interessant aus. Was ist das für ein wolkenartiges Gebilde links oben, das so viel Röntgenlicht abgibt? Und was ist das für ein schlangenartiges Dingens rechts unten, das ebenfalls hell im Röntgenlicht leuchtet aber auf den anderen Aufnahmen nicht zu sehen ist?

Was wir hier sehen können ist der sogenannte „Leuchtturm-Nebel“ bzw. astronomisch offiziell der Pulsar IGR J1104-6103. Er befindet sich in unserer Milchstraße und ist knapp 23.000 Lichtjahre weit entfernt. Ein Pulsar ist das, was von einem sehr massereichen Stern nach dessen Tod übrig bleibt. Geht dem Stern der Brennstoff aus, explodiert er in einer Supernova. Jede Menge Material wird ins All geschleudert, bildet dort große wolkenartige Gebilde (sogenannte Supernovaüberreste) und in der Mitte bleibt nur ein sehr kleiner und extrem verdichteter Sternenrest übrig: Ein Neutronenstern bzw. ein Pulsar (Pulsare habe ich hier im Detail erklärt).

Normalerweise ist so eine Supernova-Explosion halbwegs symmetrisch und der dabei entstehende Pulsar bleibt in der Mitte der Supernovaüberreste sitzen. Manchmal aber ist die Explosion asymmetrisch und der Pulsar wird wie eine Kanonenkugel aus dem Nebel hinaus geschleudert. Genau das ist hier passiert und zwar so richtig extrem. Der Supernovaüberrest ist das große wolkenartige Gebilde oben links; der Pulsar befindet sich beim schlangenartigen Dingens unten rechts; dort wo auch die ganze Radiostrahlung auf dem zweiten Bild her kommt.

Detaillierte Untersuchungen der Supernovaüberreste („The long helical jet of the Lighthouse nebula, IGR J11014-6103“) haben gezeigt, dass sie nur 10.000 bis 20.000 Jahre alt sind. Aus dem Abstand zwischen Überrest und Pulsar kann man die Geschwindigkeit berechnen, mit der sich der Pulsar bewegt. Und das sind gewaltige 3,2 bis 4 Millionen Kilometer pro Stunde! Das wäre schon außergewöhnlich genug – aber dann sind da noch die Jets des Pulsars!

Damit es nicht so verwirrend wird, sind hier nochmal alle drei Bilder überlagert und mit Beschreibungen versehen:

Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF
Bild: X-ray: NASA/CXC/ISDC/L.Pavan et al, Radio: CSIRO/ATNF/ATCA Optical: 2MASS/UMass/IPAC-Caltech/NASA/NSF

Jets sind im Universum an sich nichts Außergewöhnliches. Es gibt sie bei vielen Himmelskörpern und ganz simpel gesagt entstehen sie immer dann, wenn geladene Teilchen von einem Objekt mit starkem Magnetfeld ins All hinaus geschleudert werden. Die Teilchen werden vom Magnetfeld entlang der magnetischen Achse von Nord- und Südpol in zwei vergleichsweise dünnen Strahlen fokussiert. So etwas beobachtet man bei schwarzen Löchern, bei ganzen Galaxien oder eben bei Pulsaren. Nur sind die Jets normalerweise nicht so lang. Der im Bild sichtbare Jet des Leuchturm-Nebels erstreckt sich über unvorstellbare 37 Lichtjahre; also fast der zehnfachen Distanz zwischen der Sonne und dem sonnennächsten Stern, Proxima Centauri. Das ist wirklich lang und macht diesen Himmelskörper zum Rekordhalter in der Milchstraße: Der Leuchtturm-Nebel hat definitiv den Längsten!

Und schnell ist er auch noch… Das Material des Jets wird mit fast 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit ins All geschleudert. Das verursacht seltsame relativistische Effekte: Bei solchen hohen Geschwindigkeiten wird das ausgesandte Licht in die Bewegungsrichtung fokussiert. Oder anders gesagt: Bewegt sich die Teilchen des Jets (annähernd) in unsere Richtung, dann wird das Licht sehr hell; in der anderen Richtung dagegen sehr dunkel. Und das ist auch der Grund, warum man nur einen Jet sieht. Denn normalerweise sollten da ja zwei sein, die sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Der andere Jet ist aber so dunkel, dass er kaum zu sehen ist. Auf dieser Röntgenaufnahme kann man ihn gerade so erkennen:

Bild: Pavan et al, 2014
Bild: Pavan et al, 2014

Die Wissenschaftler haben außerdem festgestellt, dass der Jet eine korkenzieherartige Struktur aufweist, was darauf hindeutet, dass der Pulsar ein wenig wackelt und zwar mit einer Periode von 66 Jahren. Und als ob das noch nicht genug Seltsamkeiten wären, ist da ja noch das grüne Dingens auf dem Radiobild. Das ist der sogenannte „Pulsarwindnebel (PWN)“. Das ist sowas ähnliches wie ein Kometenschweif und besteht aus hochenergetischen Teilchen, die den Pulsar umgeben und die er bei seiner schnellen Bewegung teilweise hinter sich lässt. Das heißt, dass der Pulsarwindnebel die Bewegungsrichtung des Pulsars anzeigt und normalerweise ist das auch die gleiche Richtung, in die auch die Jets zeigen. Hier steht der Jet aber fast rechtwinkelig auf den PWN und warum das so ist, hat man noch nicht wirklich verstanden.

Aber genau deswegen schaut man ja ins Weltall! Man will Dinge finden, die man nicht versteht, damit man daraus etwas lernen kann. Objekte wie der Leuchtturm-Nebel stellen extreme Sonderfälle dar aber genau die sind es, bei denen wir Dinge sehen können, die wir sonst nicht sehen können! Und je mehr wir sehen, desto mehr verstehen wir auch irgendwann.

16 Gedanken zu „Schweifvergleich in der Milchstraße: Der Leuchtturm-Nebel hat den Längsten!“
  1. Sehr interessanter Artikel! Vor allem der Teil über die sichtbaren relativistischen Effekte.
    Nur der folgende Satz wäre zu überarbeiten:
    „Der im Bild sichtbare Jet des Leuchturm-Nebels erstreckt sich über unvorstellbare 37 Lichtjahre; also fast der vierfachen Distanz zwischen der Sonne und dem sonnennächsten Stern, Proxima Centauri. „

  2. Hallo Florian, toller Beitrag! Ich lese gerade das Buch mit dem Cocktailglas und bin dadurch über deinen Blog gestolpert. Ist direkt in mein RSS-Feed gewandert. 🙂

    Für mich wirkt das ganze, anhand der Erläuterungen, als hätte da jemand aus einem Ballon die Luft rausgelassen und nun wirbelt er seit ein paar „Jährchen“ mit anmutender Korkenzieher-Drehung umher. 🙂 Ich schau jetzt öfters vorbei.

    Grüße

  3. hat man denn schon eine Idee warum der Pulsar so schnell aus seiner Wolke herausgeschossen ist? Da muss doch die Supanova doch ziemlich asymetrisch abgelaufen sein um ihm den stoss zu verpassen, oder?

  4. Das ist in der Tat ein seltsames Phänomen. Was mich dabei jetzt gerade mal interessierte war, wo man das Ding denn findet, auch wenn man ohne Spezialausrüstung nix sieht. Also kurze Anfrage beim Simbad, aber Fehlanzeige! Simbad kennt keinen „Leuchtturm-Nebel“, auch keinen Lighthouse nebula oder IGR J11014-6103. In dem Paper hab ich beim überfliegen auch nichts gefunden, was auf den Fundort verweisen könnte, aber vielleicht hab ich es da auch nur übersehen. Wäre also die Frage, wo findet man das Phänomen?

  5. @ Hans:

    Wenn ich die Nomenklatur richtig erinnere, müsste das Objekt bei einer Rektaszension von etwas über 11h und einer Deklination von etwa -61° liegen, also am westlichen Rand vom Schiffskiel (Carina). Mit Finden ist’s hierzulande also Essig.

  6. @Christian, #7:
    Danke, damit kann ich was anfangen.

    @klauszwingenberger, #8:
    Okay, man kann es von hier aus der nördlichen Hemisphäre nicht sehen, aber mir ging es ja eher darum, wo überhaupt? – Und da ist das Sternbild Schiffskiel (Carina) schon mal eine gute Antwort. Die genauen Koordinaten sind die bessere Antwort und die Darstellung des Himmels an dieser Stelle überlass ich Stellarium.

  7. Hi. Hab eine (vielleicht) blöde Frage. Wenn dieser Pulsar 23.000 Lichtjahre von der Erde entfernt ist, heisst das ja, dass sein Licht 23.000 Jahre braucht, bis es auf der Erde ankommt. Wie kann dann der Supernova Überrest zwischen 10000 und 20000 Jahre alt sein? Dann dürften wir ihn ja noch gar nicht sehen, weil das Licht noch gar nicht bei uns angekommen ist, oder?

    1. @eos: “ Wie kann dann der Supernova Überrest zwischen 10000 und 20000 Jahre alt sein? Dann dürften wir ihn ja noch gar nicht sehen, weil das Licht noch gar nicht bei uns angekommen ist, oder?“

      Wieder mal das alte Problem. Wenn man sagt „Das Ding ist X Jahre alt“, dann meint man damit, dass das Licht vor X Jahren bei uns angekommen ist. Wie alt der Pulsar „wirklich“ ist, spielt keine Rolle, weil dieses „wirklich“ irrelevant ist. Der Pulsar wurde erst dann wirklich für uns, als sein Licht zu uns kam (da sich nichts schneller als Licht bewegen kann).

  8. Oder ist der Pulsar „von uns weg“ aus der Supernova herauskatapultiert worden, sodass nun die Überreste viel näher an der Erde liegen als der Pulsar?

  9. Üblicherweise versteht man das so, dass der Pulsar, wie wir ihn heute sehen, eben 10.000 – 20.000 Jahre alt ist. Könntest du dich überlichtschnell dorthin beamen, würdest du ihn natürlich 23.000 Jahre älter wahrnehmen.

    Zeit ist aber laut Albert Einstein sowieso eine relative Angelegenheit, die vom Beobachter abhängig ist, und wir beobachten ihn hier und heute von diesem Planeten aus.

  10. @ eos :

    Evtl. ist es mit einem stark vereinfachten Vergleich einfacher zu verstehen :

    Stelle Dir vor, Deine Oma hat sich mit 10 Jahren fotografieren lassen und dann das Bild per Post verschickt. Heute, 70 Jahre später, kommt es an. Du siehst also Deine Oma so, wie sie im Alter von 10 Jahren war, obwohl das Bild 70 Jahre bis zu Dir gebraucht hat.

  11. @ FF: „Wenn man sagt “Das Ding ist X Jahre alt”, dann meint man damit, dass das Licht vor X Jahren bei uns angekommen ist.“
    Danke für die Info – das wusst ich tatsächlich nicht… (bin ja totaler Astronomie-Laie…)

  12. @eos

    Das ganze hat ja auch praktische Gründe.
    Die Supernova von 1604 ist also jetzt 410 Jahre alt. Wir sehen sie im Alter von 410 Jahren.
    Tatsächlich ist der Stern aber nicht vor 410 Jahren explodiert, sondern schon rund 20000 Jahre früher. Wieviel genau früher, weiß man nicht, weil ja auch die genaue Entfernung nicht bekannt ist. Das alles ist aber solange irrelevant, solange wir uns pragmatisch auf den Standpunkt stellen können: Alles was wir sehen passiert genau jetzt. Wir definieren also ganz einfach, dass wir die Entfernung im All insofern unberücksichtigt lassen, als es uns nur interessiert wann die Nachricht bei uns eingetroffen ist. Solange wir keine interstellare Raumfahrt betreiben und uns über die halbe Galaxie ausgebreitet haben, spielt das auch keine große Rolle. Solange können wir uns den ‚Luxus‘ erlauben und uns selbst in Zeitdingen als das Mass aller Dinge betrachten. Es vereinfacht tatsächlich recht vieles, wenn wir das tun. Denn sonst müssten einige Ereignisse zb neu datiert werden, wenn bessere Entfernungswerte bekannt werden.
    Am Beispiel der Supernova von 1604. Ob der Vorgängerstern von uns jetzt 20000 Lichtjahre oder 20001 Lichtjahre entfernt ist und die Supernova vor 19590 Jahren oder 19591 Jahre passiert ist, ist für uns prinzipiell ja egal. Sie wäre nach unserer Zeitrechnung in beiden Fällen im Jahre 1604 passiert. Mit einem kleinen Unterschied. In dem einen Fall müssten wir die Entfernung genau wissen um den Zeitraum seit der Explosion angeben zu können, im anderen Fall nicht.

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