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[Das hier ist eine Rezension eines Kapitels des Buches „Der Drache in meiner Garage“ von Carl Sagan. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel finden sich hier.]

In Kapitel 14 spricht Carl Sagan ein weiteres wichtiges Thema an: die öffentliche Auffassung von Wissenschaft. Viele Menschen wissen nicht, was Wissenschaft eigentlich ist und aus diesem Unwissen entstehen oft Mißverständnisse oder gar Ablehnung. Sagan macht sich nun über die Gründe dafür Gedanken.

Ein Grund, warum die Menschen der Wissenschaft manchmal eher zwiespältig gegenüberstehen, ist die hohe Geschwindigkeit, mit der neues Wissen geschaffen wird:

The rate of change in science is responsible for some of the fire it draws. Just when we’ve finally understood something the scientists are talking about, they tell us it isn’t any longer true. And even if it is, there’s a slew of new things – the we never heard of, thing difficult to believe, things with disquieting implications – that they claim to have discovered recently. Scientists can be perceived as toying with us, as wanting to overturn everything, as socially dangerous.

In diesem Zusammenhang erzählt Sagan auch von einem seiner Professoren, der in den fünfziger Jahren vom berüchtigten Kommitee für unamerikanische Aktiväten vorgeladen wurde. Dort wurde ihm u.a. vorgeworfen, dass er als Physiker an vorderster Front einer neuen revolutionären wissenschaftlichen Bewegung (der Quantentheorie) stünde – und man deswegen nicht ausschließen könne, dass er sich auch anderen revolutionären Bewegungen anschließt…

Sagan bringt einen weiteren Vergleich: um z.B. Quantentheorie wirklich umfassend zu verstehen, ist viel Vorwissen nötig. Man muss sehr viele mathematische und physikalische Grundlagen lernen. Sagan schätzt die entsprechende Lernzeit auf etwa 15 Jahre. Natürlich ist so ein Aufwand für einen Laien zuviel. Er ist darauf angewiesen, dass Wissenschaftsjournalisten oder Wissenschaftler die wichtigsten Ergebnisse in „normalen“ Worten zusammenfassen und muss viele Dinge einfach „glauben“. Sagan vergleicht dass mit z.B. einem Schamanen, der von den verschiedensten „Mysterien“ spricht. Und um die richtig zu verstehen, soll man sich ebenfalls 15 Jahre lang den mystischen Studien widmen. Wie können wir also das eine als „Wissenschaft“ bezeichnen, dass andere aber als unwissenschaftliche Esoterik ablehnen? Für den Außenstehenden gibt es keine Möglichkeit, die Details zu verstehen, und ein eigenes Urteil zu fällen.

Oder doch?

So how is shamanistic or theological or New Age doctrine different from quantum mechanics? The answer is that even if we cannot understand it, we can verify that quantum mechanic works. We can compare the quantitative predictions of quantum theory with the measured wavelengths of spectral lines of the chemical elements, the behaviour of semiconductors and liquid helium (…) We don’t have to understand the theory to see what it predicts.

Das ist die große Stärke der Wissenschaft! Sie macht überprüfbare Vorhersagen. Und damit ist es auch für Laien möglich, zu sehen, ob eine Theorie funktioniert oder Unsinn ist. Jedesmal wenn man einen Computer einschaltet, bekommt man eine Bestätigung für das Funktionieren der Quantentheorie. Jedesmal, wenn man einen Fernseher einschaltet, bestätigt sich die Relativitätstheorie.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Beurteilung der Wissenschaft sind die Wissenschaftler. Wissenschaftler sind Menschen wie du und ich. Und wie alle Menschen machen sie Fehler.

Scientists make mistakes. Accordingly, it is the job of the scientist to recognize our weaknesses, to examine the widest range of opinions, to be ruthlessly self-critical. Science is a collective enterprise with the error-correction machinery often running smoothly.

Die Wissenschaftler passen aufeinander auf und so minimiert man die Gefahr, dass sich menschliche Fehler und Vorurteile in die wissenschaftlichen Theorien einschleichen. Gerade die „großen“ unter den Wissenschaftler werden besonders kritisch beobachtet. Sagan beschreibt das Beispiel von Fred Hoyle.

Hoyle war ein genialer Astronom mit vielen unkonventionellen Ideen. Manche davon waren revolutionär – und richtig. Wie z.B. seine Theorie der Elemententstehung in Sternen. Andere waren revolutionär und falsch – z.B. seine Behauptung, dass interstellarer Staub aus Bakterien besteht oder das die HIV-Viren durch Meteoriteneinschläge auf die Erde kamen. Aber selbst dort wo Hoyle sich geirrt hat, hat er die Forschung voran gebracht:

The impassioned and concerted effort to „prove Fred wrong“ has sometimes failed and sometimes succeeded. In almost every case, it has pushed forward the frontiers of knowledge.

Oft werden wissenschaftliche Theorien (ungerechterweise) auch wegen Eigenschaften der jeweiligen Wissenschaftler kritisiert. Von kreationistischer Seite hört man oft, dass Darwin Atheist war und will damit natürlich die Evolutionstheorie diffamieren. Abgesehen davon, dass Darwin nicht wirklich Atheist war, ist es auch völlig unerheblich. Darwin hätte auch Satanist sein können – seine Evolutionstheorie wäre deswegen nicht weniger richtig!

Newton war ein begeisterter Alchemist – was nichts an der Gültigkeit seiner Gravitionstheorie ändert. Einstein war ein schlechter Vater und trotzdem ist seine Relativitätstheorie genial. Solche Beispiele gibt es haufenweise – die Fehlbarkeit der Wissenschaftler ändert aber nichts an der Gültigkeit der wissenschaftlichen Theorien. Jedenfalls dann nicht, wenn sich die Wissenschaftler weiter ihrer Fehlbarkeit bewusst sind und entsprechende Vorkehrungen treffen:

If we were not aware of our own limitations, though, if we were not seeking further data, if we were unwilling to perform controlled experiments, if we did not respect the evidence, we would have very little leverage in our quest for the truth. Through opportunism and timidity we might then be buffeted by every ideological breeze, with nothing of lasting value to hang on.

Rezensionen der vorhergehenden Kapitel: Kapitel 1, Kapitel 2, Kapitel 3, Kapitel 4, Kapitel 5, Kapitel 6, Kapitel 7, Kapitel 8, Kapitel 9, Kapitel 10, Kapitel 11, Kapitel 12, Kapitel 13


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5 Gedanken zu „Antiscience: Wenn Wissenschaft falsch verstanden wird“
  1. um z.B. Quantentheorie wirklich umfassend zu verstehen, ist viel Vorwissen nötig. Man muss sehr viele mathematische und physikalische Grundlagen lernen. Sagan schätzt die entsprechende Lernzeit auf etwa 15 Jahre.

    Ich weiß nicht, was mit „umfassend“ gemeint ist, aber Quantentheorie lernen die Studenten doch eigentlich schon im 3. Jahr …

    Einstein war ein schlechter Vater und trotzdem ist seine Relativitätstheorie genial.

    Darüber werden in Saarbrücken sogar Vorlesungen gehalten: https://www.uni-saarland.de/verwalt/beauftr/frauen/gastprof_tobies.pdf (letzter Absatz)

    oder das die HIV-Viren durch Meteoriteneinschläge auf die Erde kamen.

    Wie ist Hoyle denn zu der Vermutung gekommen?

    Dort wurde ihm u.a. vorgeworfen, dass er als Physiker an vorderster Front einer neuen revolutionären wissenschaftlichen Bewegung (der Quantentheorie) stünde

    Das sagt natürlich auch einiges aus, daß die in den 50er Jahren Quantentheorie noch für neu und revolutionär hielten.

  2. @Thilo: Also Sagan zählt im Buch eine lange Liste von Dingen auf, die man lernen muss, um QT komplett zu verstehen (u.a. partielle Differentialgleichungen und Gruppentheorie). Ich denke er meint mit „umfassend“, dass man sie auf Forscherniveau versteht.

    Zu Hoyle: der war ja ein Anhänger der Panspermie – also der Hypothese, dass die ersten Lebenskeime durch Meteoriten auf die Erde kamen. Er meinte auch, dass interestellarer Staub allgemein aus Bakterien besteht und das ganze Universum quasi voll ist mit Bakterien, Viren u.ä. Er wollte in verschiedenen Arbeiten nachweisen, dass das Auftreten von Seuchen mit Meteoriteneinschlägen korreliert (er hat da mit Chandra Wickramasinghe zusammengearbeitet). Diese Arbeiten waren aber bestenfalls kontrovers und genaugenommen falsch. In ihrem Buch „Evolution from Space“ kann man das schön nachlesen.

  3. Der erste Punkt ist denke ich auch dafür verantwortlich, warum in Deutschland niemand seine eigene Steuererklärung machen kann. Die Dinge ändern sich so schnell und nur wenn man andauernd am Ball ist und Spaß an der Veränderung hat, kann man die Steuergesetzgebung verstehen.

    Übrigens findet sich das auch schon bei Schiller in seiner Antrittsrede in Jena wieder. Er unterscheidet zwischen dem „Brotgelehrten“ und dem „philosophischen Kopf“. Ersterem sind neue Entdeckungen ein Greul, weil er am liebsten in ständiger Wiederholung seine Vorlesungen hält und Neues im nur dazu zwingt, seine Skripte und sein Weltbild zu überarbeiten. Für den „philosophischen Kopf“ besteht Wissenschaft aber gerade aus ständiger Veränderung. Für ihn ist das kein Ärgernis, sondern ein Genuss. Ich denke das Publikum der Wissenschaft teilt sich auch in diese beiden Lager. Die einen kritisieren die Wissenschaft für ihre Dynamik, die anderen fühlen sich dadurch gut unterhalten.

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