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[Das hier ist eine Rezension eines Kapitels des Buches „Der Drache in meiner Garage“ von Carl Sagan. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel finden sich hier.]

Wie findet man heraus, ob das, was man zu sehen oder zu hören meint, real ist, oder nicht? Hat das Telefon gerade geläutet, oder habe ich mir das nur eingebildet? Ist meine Freundin gerade am Fenster vorbei gelaufen? Die Strasse in dieser fremden Stadt kommt mir so bekannt vor, als hätte ich sie schon mal gesehen.

Wie findet man heraus, ob das, was man zu sehen oder zu hören meint, real ist, oder nicht? Hat das Telefon gerade geläutet, oder habe ich mir das nur eingebildet? Ist meine Freundin gerade am Fenster vorbei gelaufen? Die Strasse in dieser fremden Stadt kommt mir so bekannt vor, als hätte ich sie schon mal gesehen.

Erinnerungen und Wahrnehmungen sind nicht immer die felsenfesten, absolut klaren Sachen, als die sie uns erscheinen. Das, an was wir uns erinnern, muss noch lange nicht passiert sein.

Das gilt besonders dann, wenn die Erinnerungen unter Hypnose zustande kommen. In diesem empfänglichen Zustand ist man offen für absichtliche oder unabsichtliche Suggestivfragen. Die Hypnotisierten sind oft so eifrig, dem Hypnotiseur eine „gute“ Geschichte zu liefern, dass sie auf Hinweise in den Fragen reagieren, die nicht mal dem Hypnotiseur bewusst sind.

In einer Studie von Alvin Lawson wurden Versuchspersonen hypnotisiert. Dann teilte man ihnen mit, dass sie entführt, auf ein Raumschiff gebracht und untersucht wurden. Dann bat man sie – ohne weitere Fragen zu stellen – ihre Erlebnisse zu beschreiben. Ihre Geschichten waren mindestens so detailliert und ausgefeilt wie die, die „echte“ Entführungsopfer unter Hypnose erzählt hatten.

Es reicht völlig, wenn der Hypnotiseur die Grundidee vorgibt. Der Patient füllt die Lücken ganz von selbst aus. So entstehen falsche Erinnerungen.

Es gibt viele Beispiele dafür, wie Menschen sich falsche Erinnerungen zu legen. Im Laufe der Zeit ändern sich die Erinnerung in unseren Köpfen ständig – bewusst oder unbewusst.

Als Beispiel für solche Erinnerungen bzw. Erscheinungen, die uns an der Zuverlässigkeit
unseres Gedächtnissen zweifeln lassen sollen, spricht Sagan über Marienerscheinungen.

Typischerweise trifft dabei eine Frau oder ein Kind vom Land auf eine seltsame, kleine Frau, die sich selbst als Jungfrau Maria vorstellt. Sie befiehlt der Frau/dem Kind, zurück ins Dorf zu gehen und dort die weltlichen bzw. geistlichen Authoritäten zu informieren. Sie befiehlt, einen Schrein zu bauen, für die Toten zu beten, sich an die 10 Gebote zu halten oder hat andere Augaben für die Menschen. Die Zeugin tut was Maria sagt, aber ihr wird nicht geglaubt. Später trifft sie wieder auf Maria und erklärt ihr, dass sie eine Beweis braucht, weil ihr niemand glauben will. Maria gibt ein Zeichen und die Menschen tun, wie ihnen befohlen wurde. Eine neue Pilgerstätte ist entstanden, die Priester haben jede Menge Arbeit und die Zeugin wird zur Hüterin der Pilgerstätte.

Man sieht schnell, dass solche Marienerscheinungen als Vorwand verwendet werden können, um der stagnierenden Wirtschaft einer Region oder einer Stadt einen Schub zu verleihen. Deswegen war und ist es auch für die Kirche wichtig zu wissen, ob so eine Erscheinung „echt“ ist oder nicht.

Der Theologe Jean Gerson hatte sich da eine wunderbare Methode ausgedacht. In einem Werk von 1400 definiert er, dass die Zeugen glaubwürdig sind, die bereit sind, den Rat und die Hilfe der politischen und geistlichen Authoritäten anzunehmen. Wer also eine Vision hat, die den Mächtigen nicht gefällt, ist per definitionem ein schlechter Zeuge. Mit dieser Methode konnte man die Zeugen (und damit Maria) dazu bringen, genau das zu sagen, was die Authoritäten gerne hören wollten.

Aber neben diesen eher weltlichen Gründen für eine Marienerscheinung zeigt Sagan auch die Parallelen, die zu den Geschichten über Außerirdische existieren. Auch hier finden die Begegnungen oft in den frühen Morgenstunden, wenn die Menschen noch müde sind, statt. Und auch die Wünsche und Warnungen, die Maria äußerst, sind meistens äußerst prosaisch:

Why are the admonitions so prosaic? Why is a vision of so illustrious a personage as the Mother of God neccessary so, in a tiny county populated by a few thousands souls, a shrine will be repaired or the populace will refrain from cursing? Why not important and prophetic messages whose significance could be recognized in later years as something that could have been emanated only from God or the saints? Wouldn’t this have greatly enhanced the Catholic cause in its mortal struggle with Protestantism and Enlightenment? But we have no apparitions cautioning the Church against, say, accepting the delusion of an Earth-centered Universe, or warning it of complicity with Nazi Germany – two matters of considerable moral as well as historical import (…) And why is Mary always ordering the poor peasant to inform the authorities? Why doesn’t she admonish the authorities herself? Or the King? Or the Pope?

Gott und Maria scheinen die gleichen Schwierigkeiten mit der Kommunikation zu haben, wie die Außerirdischen, die mit uns durch Kornkreise sprechen 😉 Und die Wünsche und Warnungen von Maria sind genauso „unpraktisch“ wie die der Aliens.

Sagan schreibt:

I think I can see many parallels between Marian apparitions and alien abductions – even though the witnesses in the former cases are not promptly taken to Heaven and don’t have their reproductive organs meddled with. The beings reported are diminuitive, most often about two-and-a-half to four feet high. They come from the sky. The content of the communication is, despite its purpoted celestial origin, mundane. There seems to be a clear connection with sleep and dreams.

An den Marienerscheinungen sieht man gut die Motivation, die Menschen dazu bringen kann, sich solche „Visionen“ auszudenken. Man wird plötzlich zu einer wichtigen Person. Man erringt Aufmerksamkeit. Man bricht aus dem Alltag aus und erlebt etwas Aufregendes. Gleiches gilt auch für die Entführungsopfer:

You gain the attention of peers, therapists, meybe even the media. There is a sense of discovery, exhilaration, awe. What will you remember next? You begin to believe that you may be the harbinger or even the instrument of momentous events now rolling towards us. And you don’t want to dissapoint your therapist. You crave his or her approval. I think there can very well be psychic rewards in becoming and abductee.

Und über diesen oft ungesunden Zusammenhang zwischen Therapisten und Therapierten spricht Sagan ausführlich im nächsten Kapitel.

4 Gedanken zu „Falsche Erinnerungen, Visionen und Marienerscheinungen“
  1. Falsche Erinnerungen treten ja bei weitem nicht nur unter Hypnose auf. Auch unsere normalen episodischen Erinnerungen, zumindest die weiter zurück liegender Ereignisse sind eher Konstruktionen aus uns noch bekannten Fakten, als ein einfaches Aufrufen gespeicherter Informationen, wie Studien erwiesen haben.

    Auch ohne Hypnose sind wir sehr schnell für falsche Erinnerungen anfällig – zum Beispiel wenn uns ein bearbeitetes Video gezeigt wird, das ‚beweist‘, dass wir etwas getan haben was wir eben nicht taten:

    https://scienceblogs.com/cognitivedaily/2009/08/fake_videos_lead_to_real_confe.php

  2. Bei quarks und co. gabs mal ein einfaches Experiment, bei dem gezeigt wurde, dass viele Menschen eben kein besonders genaues Gedächtnis haben und viele kleine Einzelheiten dann so erinnern, wie sie es für richtig halten würden, aber nicht so, wie sie wirklich waren.

  3. @Florian:
    Vielen Dank für die schöne Rezensionsreihe. Bisher habe ich das Buch noch nicht beschaffen können.
    Interessant bei den Marienerscheinungen finde ich eigentlich nicht die Tatsache, dass ein einzelner Mensch eine Erfahrung macht / Illusion hat. Das kann sehr schön mit Psychologie / Medizin erforscht werden. Was ich noch viel fasizierender finde, ist dass es dann 100.000nde gibt, die dieser Illusion folgen. Das ist für mich das Unerklärliche.

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