Nächste Woche ist der „Girlsday 2008“ bei dem Mädchen die Gelegenheit haben, technische und naturwissenschaftliche Berufe kennen zu lernen. Dazu passt das Buch aus den Sechzigern, das ich gestern auf einem Bücherflohmarkt gefunden habe: „Physik für Mädchen“.
In einer Kiste mit alten Schulbüchern ist mir dieses schöne Werk in die Hände gefallen: „Physik für Mädchen„, von Ernst Speer aus dem Jahr 1961. Auf den ersten Blick ist es ein durchaus vernünftiges Lehrbuch – mit sehr vielen Beispielen und Experimenten aus dem täglichen Leben, die die verschiedenen physikalischen Themen gut erklären und illustrieren. Schaut man genauer hin, merkt man natürlich sofort das die Einstellung gegenüber Frauen und der Naturwissenschaft 1961 noch ganz anders war als heute.
Heute macht man sich Sorgen weil sich immer noch viel zu wenig Mädchen für naturwissenschaftliche bzw. technische Berufe entscheiden und veranstaltet daher entsprechende Förder- und Ausbildungsprogramme. 1961 war die Motivation, Mädchen etwas über Physik beizubringen eine ganz andere:
„Im Haushalt müssen viele nebensächliche, sich ständig wiederholende Arbeiten verrichtet werden, die Zeit und Kraft der Hausfrau erheblich beanspruchen, die aber nicht unterlassen werden dürfen. Da greifen Physik und Technik ein und stellen der Hausfrau wohldurchdachte Maschinen zur Verfügung, die ihr diese Arbeiten abnehmen und deren Benutzung ihr Kraft und Zeit sparen hilft. Sie soll diese Geräte benutzen, aber es genügt nicht, sie nur zu bedienen, sondern sie muß auch wissen, wie sie arbeiten und wie man sie behandelt und schont, damit sie sich nicht vorzeitig abnutzen und unbrauchbar werden. Das sollt ihr im Physikunterricht lernen“ (Vorwort zu „Physik für Mädchen“).
Zu lernen wie die Alltagstechnik funktioniert ist absolut wichtig (und heute wichtiger denn je); aber natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Beschäftigung mit der Physik nicht beim Verständnis des Küchenherds und der Waschmaschine endet. Aber vor 47 Jahren war man anscheinend wirklich noch nicht so weit. Das zeigen auch einige Beispiele aus dem Buch:
„Wie sorgt Mutter dafür, daß die vorgeschriebene Einkochtemperatur dauernd gleichbleibt?“
„Warum kannst du heiße Töpfe unbesorgt mit dem Topflappen anfassen?“
„Warum werden Suppenfleisch, Gemüse usw. nicht dadurch schneller gar, daß man sie auf großer Flamme kocht?“
„Welche Folgen würden sich für die Hausfrau in der Küche ergeben, wenn die Verdampfungswärme des Wassers nur gering wäre?“
„Was für Wetter wünscht sich Mutter zum Wäschetrocknen? Warum hängt man nasse Wäsche auf oder breitet sie aus?“
„Am Waschtag trägt die Hausfrau die Wäsche aus der Waschküche im Keller zum Hof, bei schlechten Wetter auf den Boden zum Trocknen. Der Korb wiegt 12.5 kp. Zum Hof sind 3 m emporzusteigen, zum Boden 15m Vergleiche die jedesmal notwendige Arbeit! Vergleiche die Arbeit, wenn die Hausfrau einmal 10 kp, dann 15 kp und noch einmal 20 kp Wäsche zum Boden trägt.“
Das waren damals vermutlich sogar sehr gute Beispiele um den Mädchen die Physik näher zu bringen. Aber Begeisterung für die Physik an sich und den Wunsch, selbst eine Karriere als Forscherin einzuschlagen hat man damit wohl nicht geweckt.
Das zumindest ist heute anders! Es gibt mittlerweile viele Aktionen speziell für Mädchen die sie für Naturwissenschaften und Technik begeistern sollen. Eine davon ist der „Girlsday„, der seit einigen Jahren mit Unterstützung der Ministerien für Bildung & Forschung bzw. Familie, Senioren, Frauen & Jugend veranstaltet wird und am 24. April wieder stattfindet. Schülerinnen aus ganz Deutschland haben dabei die Möglichkeit Firmen und Universitäten zu besuchen und dort die verschiedensten technischen und naturwissenschaftlichen Berufe kennen zu lernen. Und wenn man sich die Liste mit den 20 am häufigsten von Frauen gewählten Ausbildungsberufen ansieht, dann sind solche Initiativen wohl dringend nötig. 2006 und 2007 habe ich selbst anlässlich des Girlsday ein paar Vorträge an der Universitätssternwarte in Jena gehalten. Massenansturm gab es da zwar keinen – aber ein Dutzend interessierte Schülerinnen sind doch jedesmal gekommen.
Der Girlsday ist auf jeden Fall eine gute Veranstaltung – aber viel wichtiger fände ich es, wenn es mehr Veranstaltungen für Kinder (Mädchen und Jungen) geben würde. Denn Kinder interessieren sich im Allgemeinen noch für Alles und sind extrem interessiert, gerade wenn es um Naturwissenschaft und Technik geht. Das habe ich selbst erst vor kurzem wieder erlebt, als ich im Rahmen einer „Kinder-Universität“ Grundschülern etwas über Astronomie erzählt habe. Erst später als Jugendliche scheinen viele das Interesse an der Wissenschaft zu verlieren. Wenn man dafür sorgen könnte, dass die kindliche Faszination an der Wissenschaft auch später noch erhalten bleibt, dann würden generell mehr Jugendliche technische oder naturwissenschaftliche Studien oder Berufe ergreifen – und auch mehr Mädchen!
Wunderbar!
Bin vollkommen deiner Meinung: Physikunterricht muss unbedingt gefördert werden, und zwar vor allem das theoretische Verständnis der Abläufe. Formeln finde ich weniger wichtig (vor allem, weil ich sie mir nicht merken kann).
Da sind Kinder sicherlich die richtige Zielgruppe.
Zum Girlsday: schade, dass ich Österreicherin bin 🙁
Andylee
Warum werde ich den Verdacht nicht los, dass der Hintergedanke des Girls Day eher „Mädchen für Physiker“ ist? 😉
@Lars
Da irrst Du Dich, denn sonst wären die Veranstaltungen eher der Natur:
Rentierpullis, die richtige Pflege und Handhabung….
*duckundwech*
Hmh… Ich merke gerade, dass ich und Chris wohl eine Möglichkeit finden müssen, uns voneinander zu unterscheiden, sonst könnte das etwas missverständlich werden …
electrical derby https://www.kewego.co.uk/video/iLyROoafMxhZ.html so spannendn kann physik sein – auch für mädchen 😉
Hallo Florian,
vor knapp 10 Jahren waren die Genderthemen noch nicht so breit diskutiert, wie heute.
Mir ist beim Lesen deines Beitrags aufgefallen, wie positiv/verständnisvoll du die Ansichten aus der Vergangenheit darstellst, um dann aber deutlich darauf hinzuweisen, wie wichtig und sinnvoll „heutzutage“ die geschlechtsunabhängige Förderung von Wissen und Wissenschaft ist.
So würde ich mir Beiträge auf Zeit.de und Co vorstellen, ganz ohne krampfhaft idiologische Verteufelung der Vergangenheit.
Vielleicht interessieren sich ja solche Medien auch für deine Beiträge, in welchen du über Beispiele von Frauen in der Wissenschaft schreibst.
Ich denke, dass man genau damit die „Präsenz“ von Frauen in der Wissenschaft zeigen kann und so hoffentlich mehr Familien dazu ermutigt auch die Neugier ihrer Mädchen in Naturwissenschaften zu unterstützen.
Schade nur, dass wir heute – 10 Jahre nach deinem Beitrag – gefühlt eher einen Schritt zurück gemacht haben.
Als junger Vater einer Tochter fällt mir extrem auf, wie klischeehaft die Kinder ab der ersten Stunde in unserer Gesellschaft aufgezogen werden:
– Kleidung für Mädchen MUSS pink oder blau sein (gefühlt 90% des Farbangebots für unter 2 Jährige)
– auch die Assessiors (z.b. Kindersitz, Möbel) müssen auch pink sein
– Beim Spielzeug gibt es (abseits vom Lego) gefühlt nur pinken Mädchen-Kitsch oder Jungs-Piraten-Auto Dinge
– beim Fasching der 1 bis 2 Jährigen gab es gefühlt zu 90% nur Feen, Prinzessinnen vs. Tiger, Cowboys, Indianer, Feuerwehrmänner
Die anglinanischen Länder sind uns da sogar noch voraus. In Neuseeland war ich regelrecht irretiert, dass ich mich zwischen pinken Mädchen- und blauen Jungs-Windeln „entscheiden“ musste – angeblich sollte der Aufbau der Windel an die anatomischen Unterschiede angepasst sein (fun-fact: diese Unterscheidung wird bei Inkontinenz-Windeln nicht gemacht).
Jetzt hab ich aber weit ausgeholt, sorry 🙂