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Sternengeschichten Folge 616: Verschwundene Sterne

Zwischen den 1950er und den 2020er Jahren sind ein paar tausend Sterne vom Himmel verschwunden. Das klingt mysteriös. Das ist auch ein wenig mysteriös, wie wir in dieser Folge hören werden. Aber um zu verstehen, was daran mysteriös ist, muss ich zuerst einmal erklären, worum es hier eigentlich geht.

Ein verschwindender Stern ist erstmal kein Rätsel. Wir wissen, dass Sterne nicht ewig existieren können. Wenn der Wasserstoff durch die Kernfusion in ihrem Inneren aufgebraucht ist, können sie nicht mehr so leuchten wie sie das Millionen oder Milliarden Jahre lang getan haben. Was dann passiert, habe ich hier schon oft erzählt. Je nach Masse des Sterns wird daraus entweder ein weißer Zwerg, ein Objekt so groß wie die Erde in dem keine Kernfusion mehr stattfindet. Oder aber es gibt eine Supernova-Explosion und übrig bleibt vom Stern nur noch ein schwarzes Loch oder ein Neutronenstern.

Dann ist der Stern zwar kein Stern mehr in dem Sinne, wie wir „Stern“ definieren. Es handelt sich nicht mehr um ein Objekt, in dem für eine relevant lange Zeit durch Kernfusion Wasserstoff in Helium umgewandelt wird. Aber das, was aus dem Stern geworden ist, ist nicht unsichtbar. Weiße Zwerge sind zwar klein, aber sind immer noch enorm heiß und leuchten entsprechend. Wir können sie beobachten und haben sie auch beobachtet. Eine Supernova-Explosion gehört zu den hellsten Ereignissen im Universum, die kann man definitiv beobachten und wenn ein Neutronenstern übrig bleibt, ist der zwar vergleichsweise schwer zu sehen, aber auch das haben wir schon geschafft. Gut, ein schwarzes Loch kann man tatsächlich nicht sehen, zumindest nicht direkt. Aber die Supernova-Explosion die davor stattfindet, hätten wir eben nicht verpasst. Wenn zwischen 1950 und jetzt ein Stern also verschwindet, ohne das wir eine Supernova gesehen haben und auch keinen weißen Zwerg oder ähnliches sehen können, dann ist das durchaus etwas, was man sich genauer ansehen kann.

Im Jahr 2020 hat sich das Projekt VASCO gegründet, unter der Leitung der schwedischen Astronomin Beatriz Villarroel, zusammen mit diversen Forscherinnen und Forschern aus Schweden und Spanien. „VASCO“ steht für „Vanishing and Appearing Sources during a Century of Observations“, auf deutsch „Verschwundene und aufgetauchte Quellen während eines Jahrhunderts an Beobachtungen“. Es geht dabei darum, alte Aufnahmen des Himmels mit neuen zu vergleichen und nach Unterschieden zu suchen. Das klingt einfach, ist aber am Ende doch ziemlich kompliziert.

Beim VASCO-Projekt hat man mit dem Palomar Observatory Sky Survey, kurz „POSS“ begonnen. Das ist eine Himmelsdurchmusterung die zwischen 1948 und 1958 an der Palomar-Sternwarte in Kalifornien durchgeführt wurde. Warum man solche Durchmusterungen macht, habe ich ja schon in den Folgen 370 und 441 ausführlich erklärt. Aber es ist ja auch nicht schwer zu verstehen, warum man sich die Mühe macht, und einfach mal alles fotografiert, was man am Himmel sehen kann. Genau so wie wir Landkarten brauchen, brauchen wir auch möglichst gute Himmelskarten, wenn wir irgendwas in der Astronomie erreichen wollen. POSS hat den nördlichen Himmel komplett abgedeckt und dafür insgesamt 936 Fotoplatten belichten müssen. Digitale Aufnahmen gab es damals natürlich noch nicht. Heute aber schon und weil Durchmusterungen des Himmels so enorm wichtig für die Astronomie sind, haben wir sie immer wieder gemacht und mit immer besseren Instrumenten.

2019 wurde die Pan-STARRS DR2 Datenbank veröffentlicht, die immerhin schon 10 Milliarden Einträge enthält. Nicht alles davon sind Sterne und es gibt diverse zusätzliche Informationen. Aber es sind auf jeden Fall mehr und bessere Informationen enthalten als im alten POSS-Katalog. Und im 2022 veröffentlichten Gaia DR3 Katalog, der mit dem Weltraumteleskop GAIA erstellt wurde, finden sich tatsächlich 1,8 Milliarden Sterne, mehr als in jedem anderen Katalog zuvor. Diese drei Kataloge wurden im VASCO-Projekt abgeglichen. Und man kann sich vorstellen, dass das keine einfache Aufgabe ist. Das muss automatisiert werden und man muss natürlich berücksichtigen, dass zwischen den Aufnahmen früher und heute ein paar Jahrzehnte vergangen sind; man muss die Koordinatenangaben entsprechend umrechnen; muss berücksichtigen dass man es im einen Fall mit analogen Fotografien zu tun hat und in den anderen mit digitalen Daten, und so weiter. Man muss auch berücksichtigen, dass sich Sterne bewegen. Nicht so viel, dass es auf den Bildern groß auffällt, aber wenn man genau sein will – und das will man hier – dann muss man das beachten und darf nicht nur an der exakt selben Stelle des Himmels suchen. All das und noch viel mehr haben die Forscherinnen und Forscher entsprechend in automatische Such- und Abgleichprogramme eingebaut. Und nach einer ersten Analyse wurden immerhin 298.165 Objekte entdeckt, die im alten POSS-Katalog vorhanden waren, in den neuen aber nicht. Das sind ziemlich viele, aber nachdem man noch zusätzliche Daten aus weiteren Katalogen verwendet hat, konnte man die Zahl auf 9395 reduzieren. Fast 10.000 Sterne, die in den 1950er Jahren fotografiert wurden, waren in den modernen Katalogen nicht mehr zu finden.

Sterne verschwinden? (Bild: Villaroel et al, 2019)

Fast 10.000 verschwundene Sterne sind eine Menge. Im nächsten Schritt wurde also geschaut, ob es sich vielleicht bei manchen nicht um Sterne handelt, sondern um Asteroiden. Bei solchen Durchmusterungen geht es ja vor allem darum, möglichst viele und gute Bilder des Himmels zu machen. Die Zeit, all die Millionen Lichtpunkte auch im Detail zu analysieren hat man da nicht. Es kann also gut sein, dass ein paar der Lichtpunkte aus den alten Katalogen in Wahrheit Asteroiden unseres Sonnensystems waren, die sich dann natürlich weiterbewegt haben und in den neuen Datenbanken nicht mehr zu finden sind. Aber auch das kann man entsprechend prüfen und dieser Prozess hat die Zahl der verschwundenen Objekte auf 9206 reduziert.

Eine weitere Prüfung der Daten hat sich mit der Veränderlichkeit beschäftigt. Wie gut eine Durchmusterung ist, hängt ja auch von der Genauigkeit des Teleskops ab, mit dem sie gemacht wird. Es gibt jede Menge Sterne, die ihre Helligkeit periodisch verändern, wie ich in den Folgen 64 und 65 ausführlich erklärt habe. Wenn ein Stern zum Zeitpunkt der Aufnahme in den 1950er Jahren gerade hell genug war, um fotografiert zu werden und bei den modernen Durchmusterungen aber gerade in einer dunkleren Phase, dann kann es so aussehen, als wäre er verschwunden. Das war nach Abgleich diverser Datenbanken bei 35 der verschwundenen Objekten der Fall, es bleiben aber immer noch 9171 übrig.

Und dann gibt es ja noch die „Artefakte“. Damit ist nichts außerirdisches gemeint, sondern schlicht alle möglichen Bildfehler, optischen Fehler, Kratzer auf den alten Fotoplatten, Fehler die beim Digitalisieren der Daten gemacht wurden, und so weiter. Diese Prüfung war sehr effektiv und hat die Zahl der verschwundenen Sterne auf 5579 reduziert.

Wer sich jetzt fragt: Wie ist das mit Satelliten? Die könnten ja auch auf einer alten Aufnahme drauf sein und auf einer neueren nicht. Prinzipiell ja. Aber der erste Satellit – Sputnik – wurde von uns erst 1957 gestartet und da war der überwiegende Teil der Aufnahmen des Palomar Observatory Sky Survey schon fertig.

Eine letzte Prüfung hat dann noch nach Sternen geschaut, die sich deutlich schneller bewegen als üblich und die sich in der Zeit zwischen den alten und neuen Durchmusterung überdurchschnittlich weit bewegt haben und dadurch von den automatischen Programmen nicht als derselbe Stern erkannt worden sind. Am Ende sind noch 5399 verschwundene Sterne übrig geblieben.

Und die sind das tatsächliche Rätsel. Bei diesen 5399 Objekten gab es keine simple Möglichkeit, zu erklären, warum sie auf den alten Bildern zu sehen sind, auf den neuen aber nicht. Aber es gibt natürlich ein paar komplexere Möglichkeiten. Es könnte sich um „Dunkle Supernovae“ handeln – davon habe ich in Folge 544 ausführlich gesprochen. Also um Sterne, die so massereich sind, dass sie quasi direkt zu einem schwarzen Loch kollabieren. Sie haben gar keine Chance, bei einer Supernova hell zu explodieren. Wir wissen, dass es sowas theoretisch geben kann, aber auch, das so etwas sehr, sehr selten sein muss. Mehr als 5000 solcher dunklen Supernovae in den letzten Jahrzehnten: Das ist definitiv zu viel.

Es kann auch sein, dass der Gravitationslinseneffekt verantwortlich ist. Masse krümmt den Raum und Licht folgt der Raumkrümmung. Wenn zum Beispiel von uns aus gesehen eine ferne Galaxie und ein näherer Stern genau hintereinander stehen, kann das Licht der Galaxie so gekrümmt werden, dass uns die Galaxie deutlich heller erscheint als sie ist. Wenn sich der Stern – die Gravitationslinse – dann ein kleines Stückcken bewegt hat, ist alles wieder normal und die Galaxie verblasst. So was gibt es, sowas haben wir schon beobachtet – aber so etwas erkennen wir normalerweise auch.

Was ist mit Aliens? Die sind natürlich auch als Erklärung angeführt werden. Ja, theoretisch kann man sowas wie eine Dyson-Sphäre bauen, eine Hülle um einen Stern herum, um dessen gesamte Energie zu nutzen. Und wenn ich „theoretisch“ sage, dann meine ich, dass wir uns sowas vorstellen können, nicht, dass wir auch annähernd in der Lage dazu wären. Und abgesehen davon, dass so eine Dyson-Sphäre auch nicht unsichtbar ist, wäre es schon ein wenig überraschend, wenn da gleich ein paar tausend von den Dingern in den letzten Jahrzehnten fertiggestellt worden wären.

Am wahrscheinlichsten ist es, dass es sich bei den „verschwundenen“ Sternen um Sterne handelt, die sehr stark veränderlich sind. Also Sterne, die damals gerade extrem hell waren und später extrem dunkel. Es gibt ja wirklich viele Sterne da draußen und wir wissen bei den allermeisten von ihnen kaum Details, weil wir schlicht und einfach nicht alle im Detail erforschen können.

Wir können also davon ausgehen, dass die verschwundenen Sterne in Wahrheit gar nicht verschwunden sind. Sondern ihre Helligkeit stärker verändern oder sich schneller bewegen also wir das mitgekriegt haben. Was nicht bedeuten soll, dass das ganze VASCO-Projekt Zeitverschwendung ist. Ganz im Gegenteil: Gerade wenn wir etwas wirklich neues entdecken wollen, müssen wir solche großangelegten Datenvergleiche durchführen. Irgendwann wird vielleicht einmal ein Stern verschwinden, bei dem wir das WIRKLICH nicht mehr erklären können, und dann wird es spannend werden…

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